„Man muss mutig und offen sein“

Einen Abend lang gemeinsam essen und sich ungezwungen kennenlernen: Das ist die Idee der Welcome Dinner. (BIld: Alexa Stümpke)

Einen Abend lang gemeinsam essen und sich ungezwungen kennenlernen: Das ist die Idee der Welcome Dinner. (BIld: Alexa Stümpke)

Die Idee ist so simpel wie genial: Beim Welcome Dinner öffnen Berliner ihre Wohnungstüren für geflüchtete Menschen und laden sie zu einem Abendessen ein. Das Konzept stammt ursprünglich aus Schweden und ist im Zuge der Flüchtlingskrise entstanden. Inzwischen kann es fast schon als eine Art Bürgerbewegung bezeichnet werden. 

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Donnerstag, 29. September 2016

Willkommensessen gibt es in mehreren deutschen Städten, unter anderem in Hamburg, Düsseldorf und Stuttgart. Die Berlinerin Annette Leidig ist 52 Jahre alt und hat mit ihrer Familie schon mehrere Welcome Dinner für Asylsuchende veranstaltet. Bei Trauben und Gebäck erzählt sie von ihren Erfahrungen mit dem Konzept.

Neukoellner.net: Was hat dich dazu bewegt, Dich bei Welcome Dinner Berlin anzumelden?
Annette: Vom Welcome Dinner habe ich über Facebook gehört und ich fand das einfach interessant. Ich wollte wissen, was das für Menschen sind und herausfinden, wo die Unterschiede und wo die Gemeinsamkeiten liegen. Das Thema Flüchtlinge verfolgte ich natürlich in den Medien aber erst durch Welcome Dinner fing ich an, mich für Flüchtlinge zu engagieren. Das war quasi der Opener.

Ist die Vermittlung eines Gastes über Welcome Dinner mit Bürokratie verbunden?
Nein, gar nicht. Aber es hat etwa vier bis fünf Wochen gedauert, bis wir jemanden vermittelt bekommen haben.

Was waren Deine Erwartungen an das Dinner?

Eigentlich keine, ich war einfach nur sehr gespannt, aber ohne Druck. Ich glaube, der ist bei den Gästen größer. Unser erster Gast war Ayham aus Syrien. Mit ihm hatte ich vorab viel hin und her gechattet. Das Welcome Dinner wollten wir dann am ersten Weihnachtsfeiertag veranstalten, doch ich wurde krank und musste ins Krankenhaus. Der Anfang verlief also durchaus holprig. Wir blieben aber mit Ayham in Kontakt und er besuchte mich sogar im Krankenhaus. Als es mir wieder besser ging, haben wir das Welcome Dinner nachgeholt, aber da kannten wir uns eben schon.

Was gab es denn zum Essen?

Fisch mit Zitronenkruste dazu Salat und Backkartoffeln. Damit kann man eigentlich nichts falsch machen. Ich habe aber vorher gefragt, ob er Fisch isst. Wichtig ist eben, kein Schweinefleisch zu servieren aber es empfiehlt sich schon, vorher mal zu nachzufragen.

Worüber wurde bei den Abendessen denn so gesprochen?

It’s Selfie Time: Annette mit Familie und Ayham nach ihrem ersten Welcome Dinner.

It’s Selfie Time: Annette mit Familie und Ayham (links) nach ihrem ersten Welcome Dinner. (Bild: Annette Leidig)

Wir haben ihn erst einmal viel gefragt und ihn ermutigt, von sich zu erzählen. Über seine Flucht erzählte Ayham aber nur oberflächlich und man hat gemerkt, dass er bei dem Thema nicht ins Detail gehen möchte. Er selbst hat uns anfangs wenig gefragt, das hat gedauert. Ich finde, man sollte zunächst die Gäste erzählen lassen. Beim ersten Dinner geht es meiner Meinung nach weniger um die Gastgeber oder gar Fragen wie, was man so beruflich macht. Die Gäste brauchen eine Grundlage, eine Art Ankerpunkt. Ayham sagte mir zum Beispiel, dass er mich immer „my spiritual mum“ nennt, wenn er seinen Freunden von mir erzählt. Wir sind für ihn zur Familie geworden.

Du hast auch schon mehrere Dinner veranstaltet?
Ja, wir hatten dann noch ein syrisches Pärchen zu Gast, die über Welcome Dinner niemanden vermittelt bekommen haben. Danach haben wir noch zweimal eigeninitiativ Leute eingeladen. Meist kamen diese Kontakte über Facebook zustande. Zum Beispiel hat neulich erst einer gepostet: „Ich bin ganz alleine in Berlin, wie kann ich hier Freunde finden?“. Wir haben ihn dann zum Essen eingeladen. Er heißt Mahmoud. Das war erst kürzlich, und wir haben auch etwas Größeres gemacht, weil er sagte, er habe keine Freunde. Es war ein netter Abend, ob der Kontakt bestehen bleibt, weiß ich jetzt noch nicht.

Was waren das sonst für Menschen, die ihr durch die Dinner kennenlernen durftet?
Die meisten Flüchtlinge, die wir kennen, sind alleine hier. Der Älteste ist 30 Jahre alt. Wir haben diese Menschen, die wir bisher kennengelernt haben, alle als ziemlich weltoffen erlebt. Sie kommen auch nicht aus armen Verhältnissen. Teilweise haben die Gäste ihre Fluchtgeschichte detailliert erzählt. Und wenn man hört, was die alles durchgemacht haben, dass sie in Lebensgefahr und wochenlang obdachlos waren, teilweise auch Gewalt erlebt haben, wird einem klar, dass bei denen kein einziger Tag normal ist. Und durch diese Erkenntnis entwickelt man auch mehr Verständnis.

Wie läuft die Kommunikation ab? Können alle schon Deutsch oder unterhaltet Ihr Euch meist auf Englisch?
Das ist ganz unterschiedlich. Mit Ayham spreche ich nach wie vor fast nur Englisch. Und Mahmoud ist frustriert, weil er nach sechs Wochen Deutschkurs meint, er müsse die Sprache nun fließend sprechen können. Dabei ist sein Deutsch schon richtig gut. Man muss bedenken, dass es auch eine gewisse Basis und viel Energie braucht, um eine Sprache zu lernen. Und wenn man in Tempelhof im Zwölfbett-Zimmer wohnt, ist es schwierig, diese Energie aufzubringen. Wir sind auch nach wie vor die einzigen Deutschen, zu denen unsere Gäste Kontakt haben, von den Menschen auf den Ämtern mal abgesehen.

Engagierst du dich außerhalb der Welcome Dinner für Flüchtlinge?
Ich helfe zum Beispiel bei der Wohnungssuche. Ich habe noch einen anderen Freund, ein Iraker, der relativ viel Hilfe braucht. Den habe ihn zum LAGeSo und BAMF begleitet. Und heute Nachmittag war ich mit ihm beim Arzt. Für Ayham haben wir mittlerweile ein wunderbares WG-Zimmer gefunden und er hat auch schon kleinere Jobs. Ein weiterer Freund fragte mich neulich, ob ich ihm bei der Suche nach einem arabisch sprechenden Psychotherapeuten helfen kann. Die haben schon alle echt was abgekriegt. Dann gibt es noch die Sorgen um ihrer Familien, die im Kriegsgebiet zurückgeblieben sind. Das heißt, die haben eigentlich immer Angst. Aber das Bewusstsein, dass ihnen hier geholfen wird, ist auf jeden Fall da. Ich finde, das ist etwas sehr arabisches, dieses von Herzen kommende „Danke, dass du für mich da bist“. Aber es ist auch viel Arbeit.

Gab es auch mal Konflikte?
Es gab schon auch Situationen, die ich überhaupt nicht verstanden habe. Der irakische Freund wird beispielsweise sehr schnell sauer. Wegen Kleinigkeiten wie Zuspätkommen. Und ich komme mit dieser Hitzköpfigkeit nicht klar. Deswegen gab es anfangs öfter mal Streit, mittlerweile ist das aber besser geworden. Ich habe immer angesprochen, wenn es für mich ein Problem gab. Und ich glaube, wenn man sich anfreundet und es nicht bei einem Dinner bleibt, dann kann es auch mal kriseln. Aber man wächst auch zusammen. Das ist auch ein Lernprozess und ich muss nicht alles akzeptieren. Neulich habe ich versucht, eine Situation, in der sich dieser irakische Freund von mir falsch behandelt gefühlt hatte, mit dem deutschen Sprichwort „einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul“ zu erklären. Da hat er schon überlegt. Ich denke, das darf man ruhig mal machen.

Was braucht es deiner Meinung nach für eine gute Integration?
Ich finde, es könnte schneller gehen, wenn wir weniger Bürokratie hätten. Und es wäre einfacher für die Flüchtlinge, wenn man ihnen beim Deutschlernen ein bisschen mehr Zeit lässt. Und wenn sie auch einen Job bekämen, obwohl sie nur Englisch sprechen. Jobs müssen her und normale Wohnungen. Und mehr Bereitschaft der Wohnungsgesellschaften, die Miete über das LAGeSo zu erhalten. Schön und hilfreich wäre es, Stiftungen oder ähnliches zu gründen, die Geld leihen, wenn das LAGeSo mal wieder zwei Monate braucht, um die Miete zu überweisen. Wenn Vermieter alleine schon LAGeSo hören, dann klappt es mit der Wohnung nicht. Das ist meine Erfahrung. Und wenn man eine Wohnung und eine Arbeit hat, dann geht es eben auch schneller mit der Integration. Deswegen muss man aber nicht seine eigene Kultur aufgeben.

Was würdest du Leuten raten, die sich überlegen, sich bei Welcome Dinner Berlin anzumelden?
Man muss einfach mutig und offen sein. Und selbst wenn man in ein Fettnäpfchen tritt, ist das nicht so schlimm, man kann doch über alles reden. Die Gäste haben ja bestimmt auch Angst, in Fettnäpfen zu treten. Man darf nicht vergessen, dass sich auf der anderen Seite vielleicht auch jemand angemeldet hat, der zögert oder Bedenken hat. Es gibt da eine Gegenseitigkeit, dessen muss man sich bewusst werden. Ich persönlich habe durch die Begegnungen mit Flüchtlingen sehr viel gelernt. Und es ist wichtig, dass wir mit ihnen in Kontakt kommen, uns mischen und dass wir ihnen einen Ankerpunkt anbieten. Und für uns ist es auch gut, ein bisschen Input zu bekommen. Ich habe mir zum Beispiel sagen lassen, dass es in Syrien vor dem Krieg keine Obdachlosen gab. So etwas kennen die gar nicht. Ayham fragte mich: „Was ist denn hier los bei euch, warum habt ihr hier nicht alle Wohnungen?“. Ich habe dann versucht, ihm zu erklären, wie Obdachlosigkeit passieren kann. Und warum diese Menschen kein familiäres Netz haben, das sie stützt. Wir sind hier in Deutschland zu alleine, zu einzeln. Diese Gespräche waren für mich sehr bereichernd, und mich hat das zum Nachdenken angeregt. Ich finde Welcome Dinner Berlin eine sehr gute und wichtige Sache. Ich glaube, es ist eine schöne Möglichkeit, Verbindungen zu schaffen. Und diese sind für die Integration von Flüchtlingen enorm wichtig.

Welcome Dinner Berlin feiert am 28. September „1 YEAR Welcome Dinner“ im Klunkerkranich. Das Projekt kooperiert mit vielen Neuköllner Initiativen, beispielsweise dem Sharehaus Refugio oder dem Bündnis Neukölln und sucht derzeit nach einem Büroraum im Bezirk. 

Wer das Projekt unterstützen möchte, kann dies zum Beispiel über eine Crowdfunding-Aktion bei Startnext machen.

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