Das Enfant terrible der jüdischen Gemeinde

Armin Langer, Foto: Melisa Karakus

Armin Langer, Foto: Melisa Karakus

Ármin Langer ist 26 Jahre alt, Student der jüdischen Theologie und sorgt seit seinem Umzug von Budapest nach Berlin vor drei Jahren für jede Menge Diskussionsstoff in der Hauptstadt. Sein medienwirksamer Kampf gegen rassistisch motivierte Vorurteile gegenüber Muslimen macht ihn für die Einen zum Visionär, für die Anderen jedoch zum Störenfried, der mit aller Macht in die Öffentlichkeit drängt. Nun hat er ein Buch mit dem Titel „Ein Jude in Neukölln. Mein Weg zum Miteinander der Religionen“ geschrieben. Erschienen ist es im renommierten Aufbau-Verlag. 

Text: Patrick Helber

(mehr …)

Text:

Montag, 26. September 2016

Im November 2013 rief Ármin Langer mit jüdischen und muslimischen Aktivisten die Initiative Salaam-Schalom ins Leben und wurde damit schlagartig auch über die Grenzen der jüdischen Gemeinde bekannt. Im Zentrum steht sein Kampf gegen antimuslimischen Rassismus – sowohl in der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft als auch in der jüdischen Community. Um dem gängigen Vorurteil, Juden und Muslime seien Feinde, den Boden zu entziehen, gründete Armin Langer im Jahre 2013  mit gleichgesinnten Juden und Muslimen die besagte Initiative und demonstrierte, dass insbesondere in der vermeintlichen „No-go-Area für Juden“ Neukölln zahlreiche Freundschaften zwischen dort lebenden Juden und Muslimen bestehen.

Solidarität mit Geflüchteten

Als Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden 2015, den von Horst Seehofer und der AfD getragenen, rassistischen Diskurs von einer „Obergrenze“ für Geflüchtete aufgriff, betitelte Langer dessen Organisation kurzerhand als „Zentralrat der rassistischen Juden“. Außerdem organisierte er mit jüdischen und muslimischen Aktivisten eine Demonstration, die sich von der Aussage Schusters distanzierte und für Solidarität mit den Geflüchteten warb. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Langer, der am Abraham Geiger Kolleg in Potsdam Jüdische Theologie studierte und progressiver Rabbiner werden möchte, wurde in Folge seines Engagements vom Kolleg verwiesen. Für ihn ein deutliches Zeichen dafür, dass junge engagierte Juden nur unterstützt werden, wenn sie „nach der Pfeife des Establishments tanzen“. (Langer äußerte sich ausführlich zu seinem Rauswurf aus dem Kolleg in einem Inteview mit neukoellner.net.)

Die "Aktivistenbiographie" von Àrmin Langer: "Ein Jude in Neukölln".

Die „Aktivistenbiographie“ von Àrmin Langer: „Ein Jude in Neukölln“.

Das Enfant terrible der jüdischen Gemeinde ließ sich aber keinesfalls mundtot machen. Stattdessen streitet er  weiterhin für ein progressives und antirassistisch engagiertes Judentum und hat nun sogar ein Buch geschrieben. In der Aktivistenbiographie, die mit Zitaten der Thora und namhafter Rabbiner gespickt ist, nimmt Langer kein Blatt vor den Mund. Sein flüssig zu lesender Text handelt allerdings nicht nur von Neukölln, wie der Titel vorgibt. Stattdessen springt der ehemalige Rabbineranwärter in dem Ego-Dokument teilweise chronologisch und örtlich hin und her zwischen Berlin, Ungarn und Israel. Dabei gibt er Einblicke in seine Beweggründe und Ziele und fordert die Leser auf, auf die Straße zu gehen und sich zu engagieren. Ein Ausgangspunkt von Langer ist die Kritik am Zentralrat der Juden und dessen Verharren auf den Themen Schoah, Antisemitismus und Israel. Langer empfiehlt hingegen neues Terrain. Er sieht die Juden in Deutschland wegen ihrer jahrhundertelangen Diskriminierungs- und Fluchterfahrung als Experten, wenn es darum geht, Solidarität mit anderen diskriminierten Gruppen aufzubauen. Daraus schöpft er seine Motivation, sich für die in seinen Augen am stärksten in Deutschland und Europa diskriminierte Gruppe, die Muslime, einzusetzen. Antisemitismus leugnet Langer nicht. Er vertritt aber die nicht unproblematische und stark von Berlin ausgehende Ansicht, dass die Juden in Deutschland heute „eine emanzipierte Minorität“ seien, die mit dem Mainstream fusioniere. Deshalb könne Pegida von einem „christlich-jüdischen Abendland“ sprechen, wenn es um die rassistische Ausgrenzung von Muslimen gehe.

Der Verzicht auf religiöse Symbole 

In Neukölln ist Saalam-Schalom vielfach aktiv gegen antimuslimischen Rassismus. Sie fand ihren Ursprung 2013, als die Aussage vom „No-go-Area für Juden“ in Neukölln widerlegt wurde. Diese diene letztendlich nur dazu, Muslime als außerordentlich antisemitisch zu stigmatisieren. Im Juli 2015 demonstrierte Saalam-Schalom vor dem Rathaus für die Abschaffung des Neutralitätsgesetzes des Landes Berlin. Dieses fordert von Lehrern, Richtern und Polizisten den Verzicht auf religiöse Symbole. „Kopftücher sind ebenso wie Hochsteckfrisuren, Kippot oder Hüte ein Teil von Neukölln, ein Teil Deutschlands“, so Langer in einem Redebeitrag. Er sieht in Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey und ihrem Vorgänger Heinz Buschkowsky zwei Verfechter einer „Christo-Normativität“. Das ist eine Form des Säkularismus, die davon ausgeht, dass christliche Normen auch für religiöse Kulturen jenseits des Christentums als soziale Norm gelten. Deshalb gelten Mädchen und Juristinnen mit Hidschab sowie der Gebetsruf des Muezzins als ein ‚Problem‘, während Weihnachtsbäume, das Tanzverbot am Karfreitag und Glockenläuten vom Kirchturm ‚neutral‘ und ‚unproblematisch‘ seien. Langer kritisiert, „dass die Säkularisten in der Berliner SPD dasselbe Ziel haben wie die Rassisten in der AfD, nur ohne es zu wissen: die öffentliche Erscheinung des Islams zu verbieten.“

„Allgegenwärtigkeit von Diskriminierung“

Eine Demonstration der Salaam Schalom-Initiative vor dem Neuköllner Rathaus (Foto: Patrick Helber)

Eine Demonstration der Salaam Schalom-Initiative vor dem Neuköllner Rathaus (Foto: Patrick Helber)

Das antirassistische Engagement von Langer und Saalam-Schalom ist bitter nötig und eine Bereicherung für den politischen Diskurs weit über Neukölln hinaus. Trotzdem sollte man nicht über die kritikwürdigen Aspekte des Buchs hinweglesen. Der Grundgedanke, mit allen in Deutschland von Rassismus betroffenen Gruppen kooperieren zu wollen – auch wenn diese selbst diskriminierende Einstellungen vertreten, ist problematisch. Gleiches gilt für Langers Äußerungen zu Israel und zum Nahostkonflikt. Langers Impuls, sich für Muslime einzusetzen, entstand nicht durch den Rassismus, den letztere in Deutschland erfahren, sondern durch seine erste Reise nach Israel. Dort machte er die „Allgegenwärtigkeit von Diskriminierung“ aus. Dass das Handeln einzelner israelischer Politiker und Parteien kritikwürdig ist, steht außer Frage. Wenn Langer aber vom „Staat Israel und großen Teilen seiner Gesellschaft“ spricht, rückt ihn das in die Nähe des antizionistischen Lagers. In diese Ecke gehört auch seine Auffassung, dass der Staat Israel sich zum „Risikofaktor für Juden außerhalb Israels“ entwickle. Mordanschläge von Dschihadisten auf europäische Juden, wie 2015 im Pariser Hyper Cacher, sieht er nicht per se als antisemitisch, sondern politisch motiviert. Die Attentäter sähen in den Juden Vertreter der israelischen Politik, so Langer. Würde diese die Besatzung im Westjordanland beenden und allen Palästinensern ein Rückkehrrecht nach „Israel-Palästina“ gestatten, würden solche Taten in Zukunft ausbleiben.

Langers Utopie von „Israel-Palästina“ mag verlockend klingen, vertauscht aber Ursache und Wirkung und macht Täter zu Opfern. Weder der terroristischen Hamas noch den Neuköllner Jungs, die mit dem Anhänger der Landkarte Israels (inklusive palästinensischer Gebiete) eingefärbt in der Flagge Palästinas, um den Hals baumelnd durch den Kiez spazieren, scheint „Israel-Palästina“ für die Zukunft erstrebenswert zu sein. Da ist es gut, dass es Salaam-Schalom „allein um Gerechtigkeit und Frieden in Deutschland“ geht. Dort gibt es nach den jüngsten Wahlsiegen der AfD und einem zunehmend rassistischeren Klima definitiv genug zu tun!

Au ja, ich spende via: PayPal | Überweisung | Bankeinzug | Flattr

 

Kommentare:

  • Alicia sagt:

    „Kopftücher sind ebenso wie Hochsteckfrisuren, Kippot oder Hüte ein Teil von Neukölln, ein Teil Deutschlands“

    In diesem Zusammenhang sollte auch darauf hingewiesen werden, dass viele orthodoxe jüdischen Frauen ebenfalls Kopftücher tragen, um ihre Haare zu bedecken – das ist in Deutschland offensichtlich nicht bekannt. Das Judentum ist von einem „Kopftuch“-Verbot somit im Grunde genau so betroffen wie der Islam.

    https://en.wikipedia.org/wiki/Tichel