Hinterm Tresen

Ilse Schier-Weimann stand Jahrzehnte hinterm Neuköllner Tresen. Als ehemalige Wirtin vom Neandereck, Atelier13 und der Kottbusser Klause nimmt sie uns mit auf zünftige „Zeitreisen“.

(mehr …)

Text:

Samstag, 24. September 2011

Ich bin in Ostpreußen geboren. In einem kleinen Dorf – nahe der Litauischen Grenze – dort wuchs ich als wilde Hummel auf dem elterlichen Bauernhof heran. Meine Spielgefährten waren die Viecher.

Ein Brief aus Berlin wirbelte unsere Familie völlig durcheinander. Mutters geliebter Bruder, Kneipenwirt und Destillenbesitzer in Berlin war plötzlich verstorben. Sein Klärchen bot meinen Eltern die Gaststätte zum Kauf an. Nach vielem Hin und Her überzeugte meine Mutter ihren Franz und auch den Rest der Familie mitten im Krieg: Wir schaffen uns Neuland. Die Gastronomie wurde unsere Zukunftsperspektive.

Der Umzug nach Berlin löste bei uns allen hektische Aktivitäten aus. Der Nachbarssohn Reinhard und ich hatten uns ja die Heirat versprochen, wenn es die Zeit erlaubte. Mein damaliger Verlobter bestand darauf, in der aktuellen Situation einer Kriegstrauung zuzustimmen, noch vor dem Umzug. Und dies aus persönlichen Gründen; denn wer weiß, welche Gefahren dort in der großen Stadt auf seine Mädchen-Frau lauerten. Ich war ja erst 16 Jahre alt.

Im Berliner Neandereck stürzte sich dann unsere ganze Familie in das neue Abenteuer: Gästebewirtung. Wir folgten einfach dem bäuerlichen Prinzip: Was du sähst, erntest du. Jeder half jedem mit kreativen Einfällen und Fleiß. Wir wurden von unseren Gästen durch regen Besuch belohnt. Im Kriegsjahr 1941 war aber unter anderem das Bier rationiert. Die von den Brauereien gelieferten Bierfässer, als Kontingent für einen Tag, waren meistens schon mittags leer geschenkt. Die Kneipe schon am Vormittag rappelvoll mit Biertrinkern, die an der Theke im Stehen begierig die „Molle“ Gerstensaft verzehrten, – davon können Kneipenwirte heute nur träumen.

Statt „Molle Bier“ gab’s Alkolat

Wenn der Gast erst am Nachmittag einkehrte, bedauerten wir sehr, ihm nur noch das chemisch hergestellte Alkolat anbieten zu können. Ein künstliches, alkoholisiertes Gesöff mit Fruchtgeschmack. Es reichte jedoch allemal, um sich zu benebeln. Die Gäste suchten in der Kneipe die Gesellschaft mit gleichgesinnten Menschen, um sich über Tratsch und Klatsch und die neuesten Nachrichten des verdammten Krieges auszutauschen. Meine Mutter spürte immer wieder über „gute Beziehungen“ Quellen auf, um unseren Gästen was Besseres zu bieten. Es gelang ihr, einige Glasbehäler des italienischen Branka Wermutweins einzukaufen.

Nach einem Fronturlaub meines Ehemannes Reinhard hatte der Klapperstorch mich ins Bein gebissen. Das erwachende Leben scherte sich nicht um den Krieg. Der Familienrat hatte beschlossen, dass ich das „freudige Ereignis“ in Ostpreußen erwarten sollte. Das Familienglück wurde durch eine Tochter beschenkt, wir nannten sie Ingrid. Das große Glück wurde überschattet durch die vordringenden Russen im Osten. Deshalb blieb uns mit Klein-Ingrid nur die Flucht zurück nach Berlin. Dort fielen die Bomben immer dichter. Im Februar 1945 versank die Stadtmitte in Schutt und Asche und das Neandereck brannte aus. Die ganze Familie überlebte gottlob und bekam in Steglitz ein Dach über den Kopf zugewiesen.

Überraschend früh kehrte Reinhard aus Russischer Kriegsgefangenschaft im August 1945 heim. Wir bekamen beide schon ab September – welch ein Glück – bei den Amerikanern im Offiziersclub Lightning Lounge in Steglitz (heute Gutshaus Steglitz) Arbeit als Bedienung. Unsere Tätigkeit war interessant und aufregend. Ich erinnere mich noch an den Besuch von Marlene Dietrich im Club. Die Big-Band Bruno Sänger spielte zum Tanz für die Offiziere und ihren Damen.

Hardy Krüger, Drafi Deutscher und Erich Kästner inkognito

Nach dem Weggang der Amerikaner, machten Reinhard und ich uns selbständig in der Gastronomie. Einige Stationen waren: Zum Elch in Steglitz und Kottbusser Klause mit Atelier 13 in Neukölln. Besonders im Atelier 13 ging es in den Nächten heiß her mit Rock´n Roll Rhythmen der Star-Band „Dob Dobberstein“. Prominente und Künstler lockten das junge Volk an: Hardy Krüger mit Loni von Friedel (Filmdreh mit Gästen „Zwei unter Millionen“), René Kollo (sein Schlager „Hello, Mary Lou“ kam damals gut an), Drafi Deutscher mit „Shakehands“, Michael Holm sang „Mendocino“, Erich Kästner inkognito, Playboy Rolf Eden mit Damen u.v.a.

Die Kottbusser Klause mit Atelier 13 im Jahr 1911, heute beherbergt die Adresse ein Textilgeschäft.

Der graue Alltag und die aufreibenden Nächte zerrten an meiner Lebenskraft. Ich managte ja nach der Scheidung von Reinhard (er hatte zu sehr dem Alkohol zugesprochen), mit Hilfe meiner Tochter Ingrid, den großen unübersichtlichen Betrieb allein verantwortlich. Vor Sorgen fand ich oft keinen Schlaf, denn selten ging alles glatt – obwohl es von außen so aussah. Immer Lache und Singe, Bajazzo. Trotz des großen Zuspruchs hatte ich finanzielle Probleme. Besonders nachdem sich an vier Wochenenden Einbrecher Zugang zu meinen Räumen verschafft und sämtliche teuren Marken-Spirituosen geraubt hatten.

Hinzu kam noch die Unkontrollierbarkeit des großen Betriebs. Keine der vielen Ausgangstüren, kein Fenster war einbruchsicher. Vor längerer Zeit erfuhr ich von einem ehemaligen Gast einen Teil des Rätsels Lösung. Er eröffnete mir schadenfroh: „Bei ihren tollen Events haben wir oben auf der Balustrade im Tanzsaal natürlich unsere mitgebrachten Getränke verzehrt und an andere verkauft. Hat ja keiner gemerkt.“ Damals war ich wirklich am Ende. Und deshalb verkaufte ich das gesamte Objekt an einen Kollegen.

Nach Reisen und einem Studium an der TU traute ich mich später als Dozentin Kurse in Volkshochschulen anzubieten. Ich unterrichtete die Herren der Schöpfung im: „Hausarbeitskurs für Männer“; ich förderte die Esskultur durch „Kochen mit Blumen“ in Neukölln und Wilmersdorf. Auch als Rentnerin wollte ich niemals nur im Sessel sitzen. Ich bin ein Leben lang dem Beispiel meiner Mutter gefolgt: Chancen suchen und Anpacken!

Danke an Reinhold Steinle, der uns auf den Artikel von Ilse Schier-Weimann aufmerksam gemacht hat.

Archivmaterial © Museum Neukölln

In Zusammenarbeit mit dem Geschichtsspeicher des