Die Geiseln aus Klein-Popo

Weisse-Negerin

Erst in Mitte, später in Neukölln – die Völkerschau „Die Weisse Negerin“. (Foto: Stefan Zollhauser/privat – Original im Landesarchiv Berlin  )

Einige Neuköllner Lokalpolitiker fordern schon lange, dass die Wissmannstraße umbenannt werden soll – so auch in der gestrigen BVV. Doch wer war Wissmann? Eine Zeitreise in das Neukölln des Kolonial-Zeitalters, wo Rassismus Alltagskultur war und man Schnitzel essen, und dabei gleichzeitig Schwarz-Afrikaner begaffen konnte.

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Donnerstag, 30. März 2017

Um ihre Geiseln zu beeindrucken, scheuten die Deutschen keinen Aufwand. Im April 1884 verfrachtete man sie zur Preußischen Armee nach Neukölln, das damals noch Rixdorf hieß. Das Exerzieren der Militärs auf dem Tempelhofer Feld sollte den drei Schwarzen zeigen, „was sie unter Deutschland eigentlich zu verstehen hätten“, wie es ein Zeitgenosse ausdrückte. Die Drei stammten aus dem Küstenkaff Klein-Popo im heutigen Togo; ein Gebiet was sich das Deutsche Kaiserreich damals gerade zur Kolonie machte, gegen den Willen der Einheimischen.

Um den Widerstand zu brechen, entführte ein Rollkommando des Kriegsschiffs Sophie ein paar Geiseln für einen Einschüchterungstrip nach Berlin. Das Ziel: Museumsbesuche, die Neuköllner Waffenshow und andere Aktivitäten in der Hauptstadt sollten die Schwarzen zu Botschaftern deutscher Überlegenheit machen. Ob das Kalkül aufging, ist nicht überliefert.

Völkerschauen in der Neuen Welt

Fest steht, die Afrikaner aus den Kolonien wurden damals zum festen Bestandteil der Unterhaltungsindustrie im Kaiserreich. Das galt auch für Berlins Ausgehviertel Rixdorf, das man 1912 in Neukölln umbenannte. Zirkusunternehmer wie Carl Hagenbeck präsentierten ganze Familien verschleppter Einheimischer aus den Kolonien vor kitschigen Ethno-Kulissen, den so genannten „Völkerschauen“. Einer der wichtigsten Veranstaltungsorte in Neukölln war die „Neue Welt“ an der Hasenheide, eine Schaubühne mit 20.000 Sitzplätzen. Die Besucher kamen in Scharen. Die Völkerschauen wurden schnell gängiger Massenkonsum, eine Art Pendant zu „Der Hobbit in 3D“ heutzutage. Neukölln verfügte sogar über eine Spezialshow in Sachen Kolonial-Entertainment.

Die Gäste des Restaurants Lindenpark, am Britzer Damm gelegen, konnten „die weisse Negerin“ begaffen, während sie ihr Schnitzel verspeisten. Die Betreiber des Gasthofs sicherten sich 1913 die Rechte der Show vom Passage-Panoptikum in Berlin Mitte, das zuvor die Albino-Frau mit ihrem kleinen Kind ausstellte. Das Neuköllner Tageblatt schrieb damals entzückt von „niedlichen, schwarzen Charakterpüppchen“ und „es nimmt Wunder, wie leicht das schwarze Völklein Deutsch lernt“.

Eine Straße für den Söldnerführer

Laut dem Historiker Stefan Zollhauser, „war der Eintritt zu den Völkerschauen nicht zu teuer; also ideal, um als familienfreundliche Freizeitaktivität zu gelten“. Mit zwei Mitstreitern organisiert Zollhauser die Berliner Spurensuche mit Führungen zur Hauptstadt-Historie, darunter auch die Tour „Koloniales Neukölln“. Wer sich zwei Stunden Zeit nimmt, bekommt ein Gefühl für den Zeitgeist der Kolonialepoche nach dessen Motto: „Am deutschen Wesen, soll die Welt genesen.“

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Söldnerführer Hermann von Wissmann in Uniform und mit Orden dekoriert. (Quelle: Wikimedia Commons)

Von 1884 bis zu seinem Untergang im I. Weltkrieg, bediente sich das Deutsche Kaiserreich an der Resterampe des Kolonial-Zeitalters. Vor allem in Afrika sicherte sich das Reich Gebiete, die ältere Kolonialmächte noch übrig gelassen hatten, um sein Minderwertigkeitsgefühl als Weltmachtsjunior zu überwinden. Das Mittel dazu waren „Schutzverträge“, die man den Einheimischen aufzwang. Die dafür nötige Gewalt-Politik erledigten meist Männer vom Schlage eines Hermann von Wissmann, an den die Wissmannstraße erinnert. Der Militär aus Frankfurt/Oder entsprach dem Typ eines gebildeten Kraft- und Tatmenschen, der der Epoche seinen Stempel aufdrücken wollte und den die Gesellschaft dafür anhimmelte.

Brutaler Kolonialkrieg in Tansania

Seit 1880 an mehreren Afrikaexpeditionen beteiligt, schlug Wissmann von 1888 bis 1890 für die Reichsregierung einen Aufstand in Tansania nieder. Die Deutschen wollten dort die Kolonie Deutsch-Ostafrika errichten; die Bevölkerung hatte wenig Lust dazu und setzte sich zur Wehr. Mit einem Budget des Reichstags warb Wissmann eine Söldnertruppe an und machte dem Aufstand brutal nieder – tausende Afrikaner verloren ihr Leben. Im Reich wurde Wissmann daraufhin als Kriegsheld gefeiert.

Im Oktober 1890 war der Kolonialkrieg vorbei, schon im November desselben Jahres weihten die Honoratioren von Rixdorf die Wissmannstraße ein. „Die zeitliche Nähe macht deutlich, dass hier der Kolonialkrieger Wissmann und nicht der Forscher geehrt wurde“, so der Historiker Stefan Zollhauser. Bis heute liegt der Söldnerführer Wissmann im Schatten des „Afrikaforschers“; so erwähnt Wikipedia das koloniale Gemetzel kaum. Ironie der Geschichte: Heute beherbergt die Straße mit der „Werkstatt der Kulturen“ ein Multi-Kulti-Projekt im Kiez direkt an der Hasenheide.

Gedenken an die Schutztruppe

Neben der Wissmannstraße führt noch ein alljährlicher Mumpitz auf die Spuren des „Kolonialen Neukölln“. Jeden zweiten Sonntag im November, am Volkstrauertag, geben sich Veteranenverbände und rechtslastige Gruppen ein Stelldichein auf dem alten Garnisonsfriedhof am Tempelhofer Feld. Dann wird auch ein plumpes Steindenkmal mit Blumen geschmückt. Es gedenkt an die so genannte „Schutztruppe“ in den Kolonien des Kaiserreichs. Erst seit wenigen Jahren erinnert auch eine Plakette an deren einheimische Opfer, allerdings nur zu Füßen des Denkmals.

Die Zeitreise wurde erstmals in abgewandelter Form am 26. August 2014 auf neukoellner.net veröffentlicht.

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