Das bewegte Leben des Turnvaters

Das Jahndenkmal in der Hasenheide. Foto: Ana Edroso Stroebe

Ein Denkmal für den Verfechter der Deutschen Einheit, den Volkserzieher, den spätpubertären Narr, der geistigen „Ahnenherr“ Hitlers und den Demokraten: Friedrich Ludwig Jahn, auch als Turnvater Jahn bekannt. Seine ambivalente Biografie sowie seinen Patriotismus und Nationalismus nutzten viele für die eigenen politischen Interessen, auch bis weit nach seinem Tod. In der Hasenheide erinnert ein Denkmal an die vielseitige Figur. (mehr …)

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Freitag, 1. Dezember 2017

Text: Susanne Ferch, Ana Edroso Stroebe und Lisa Willnecker

Berlin war im Juni 2017 Schauplatz für das 43. Internationale Deutsche Turnfest. Mit 100.000 verkauften Tickets und 80.000 Teilnehmenden aus über 3000 Turnvereinen drehte sich in der deutschen Hauptstadt unter dem Motto „Wie bunt ist das denn!“ sieben Tage lang alles ums Turnen. Und das bereits zum fünften Mal. Vor 156 Jahren fand erstmals in Berlin das „Deutsche Turn- und Jubelfest“ statt. Im Rahmen dieser Feierlichkeiten wurde 1861 in der Hasenheide der Grundstein für das Denkmal zu Ehren Freidrich Ludwig Jahns (geb. 1778, gest. 1852) gelegt.

Germanische Tugenden

Für den Sockel der vier Meter hohen Jahn-Statue schleppten Mitglieder vieler Turnvereine damals Steine aus aller Welt nach Rixdorf bei Berlin. Aus Stuttgart, Rio, Wolfenbuettel, Ohio, St. Illinois oder Salzburg. Der symbolische Akt des Herantragens sollte „germanische Tugenden“, wie körperliche Stärke, Ausdauer und Heimatverbundenheit demonstrieren.

50 Jahre zuvor, nämlich 1811, eröffnete Friedrich Ludwig Jahn hier in der Hasenheide seinen ersten Turnplatz. Ziel war es, die Jugend zu ertüchtigen und deren „deutsche Gesinnung“ hervorzurufen. Von Anfang an sollte das Turnen auch der patriotischen „Volkserziehung“ der Bürger dienen. Die jungen Männer trainierten, um für den Kampf gegen den Feind gewappnet zu sein. Der damalige Feind, das waren die Franzosen. Die napoleonische Besatzung, vor der auch Preußen nicht verschont geblieben war, sollte bekämpft werden.

Das Jahndenkmal im 19. Jahrhundert. Quelle: Museum Neukölln

Darum trafen sich Turnvater Jahn und seine Schüler jeden Mittwoch und jeden Samstag vor den Toren Berlins. Der Turnplatz in der Hasenheide befand sich damals in einem Jagdrevier südlich der preußischen Hauptstadt. Die Turnbewegung verfolgte neben der Ertüchtigung für den Krieg auch – oder vor allem – das politische Ziel der Gründung eines deutschen Nationalstaates.

Ein vom Scheitern gezeichnetes Leben

Der Erfolg der Turnbewegung kann als Höhepunkt Jahns ambivalenter Biografie gesehen werden, die ansonsten von Misserfolgen geprägt war: Auf den Verweis von Schule und Universität folgte das Scheitern seiner akademischen Karriere. Später wurde er aufgrund seines politischen Engagements für die deutsche Einheit inhaftiert und verlor seine Ehefrau und zwei Kinder.

Auch gesellschaftlich eckte er durch sein Auftreten und seinen Charakter oft an. So wurde er von Zeitgenossen als Narr bezeichnet und selbst im mittleren Alter als spätpubertär wahrgenommen. Mit seinem Handbuch „Die Deutsche Turnkunst“, das 1816 erschien, hatte er jedoch den Zeitgeist getroffen.

Die Überlegenheit des „germanischen Stammes“

Mit der Gründung eines Nationalstaates erfüllte sich 1871, lange nach Jahns Tod, das politische Ziel der Turnerbewegung. Die Figur Jahns hatte von da an wieder Konjunktur: Zunächst als Verfechter der deutschen Einheit, dann als Volkserzieher in der Weimarer Republik und später als geistiger „Ahnenherr“ Hitlers.

Ganz im späteren Sinne Hitlers verband Jahn nämlich die nationale Idee der deutschen Einheitsbewegung mit einem „rassisch“ begründeten Judenhass. Diese Art des Judenhasses war neu und basierte nicht länger vornehmlich auf einer religiösen und wirtschaftlichen Judenfeindschaft sondern auf der Idee der biologischen Überlegenheit des „germanischen Stammes“.

Patriotismus und Nationalismus

So ließ sich Jahn aufgrund seines Patriotismus und Nationalismus zu allen Zeiten gut für politische Zwecke instrumentalisieren. Anlässlich der Olympiade 1936 gestalteten die Nationalsozialisten das Jahndenkmal nicht nur um, sondern verlegten es auch innerhalb der Hasenheide. Die ursprünglich schräg angeordneten Steine reihten sie in einem Betonblock aneinander und den neuen Platz um das Denkmal nutzen sie für Propagandazwecke.

Das Jahndenkmal nach der Umgestaltung durch die Nationalsozialisten 1936. Quelle: Museum Neukölln

Eben noch als geistiger Urheber Hitlers gefeiert, taucht Jahn nach Kriegsende als „echter Demokrat“ wieder auf. Sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland galt er in den Jahren des Kalten Krieges als Verfechter von Einheit und Freiheit.

Es mag überraschen, dass dem Turnvater heute weit über die deutschen Grenzen hinaus gedacht wird. So finden sich weltweit 329 Denkmäler, von denen über 200 erst nach 1920 entstanden sind. Das Monument in der Hasenheide diente, als eines der ersten Jahndenkmäler, vielen nachfolgenden als Vorlage. So hat sich Jahn von der Hasenheide in die Welt geturnt.

Dieser Artikel ist in Kooperation mit Studierenden des Masterstudiengangs Public History an der FU Berlin, neukoellner.net und dem Museum Neukölln entstanden.

Kommentare:

  • richard sagt:

    Zeitgeschichte und Leben interessieren wenig. Stattdessen wird eine kleine Denkmalgeschichte mit drei Bildern geliefert und die Überschrift, die Informationen über das Leben verspricht, kaum beachtet.
    Wenn das heute master-Studiengang-Niveau ist, dann sollten wir Leser doch lieber der fairen und vollständigen Darstellung bei Wikipedia folgen. Die ist nämlich lesenswert und nicht kampagnentauglich!

  • Manfre Nippe sagt:

    Jahn wird in einer neuen Publikation als ‚Erster Deutscher‘ betitelt. Wissenschaftler haben ihn in jüngster Zeit vom Vorwurf des Antisemiten oder Rassisten freigesprochen. Gute Recherche ist von angehenden Journalisten eine Voraussetzung für ihren Beruf. Der Turnvater hatte schon ein sehr bewegtes Leben, die Überschrift stimmt. Übrigens, ein echter Neuköllner, der Erfolgsautor -skY, hat ein Buch über ihn geschrieben

  • Ellen Esser sagt:

    Hallo, ich bin Ellen Esser, Künstlerin und habe in der Hasenheide ein Labyrinth aufgebaut, auf der gleichen Wiese, wie Jahn. Leider soll ich es abbauen. Gibt es einen Verein oder Initiative, die daran interessiert wäre, dass es da bleibt und so auch an Turnvater Jahn erinnert?

  • unp tuwphg9ea0 zu3q6b i3ugbea08twug43wtb4309g 80aew4utqo3u6t43ertge sagt:

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