Brauner Dreck und Wasserwerfer

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Welch Parallelen zur Gegenwart. „Zeitreisen“ zu Neuköllner Wahlkämpfen und Demonstrationen aus dem vorigen Jahrhundert. (mehr …)

Mittwoch, 31. August 2011

Ein Wahllokal während der Reichstagswahl von 1912. Stolz präsentiert der Wähler seinen Stimmzettel bei der Übergabe an den ehrwürdig-schnauzbärtigen Wahlleiter. Hier herrscht preußische Zucht und Ordnung. Hätte der elegant gekleidete Herr im Vordergrund eine Vorahnung vom bevorstehenden 1. Weltkrieg, er würde hier und jetzt für die Absetzung des Kaisers plädieren.

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Mitte der 20er Jahre scheint die Welt noch (oder wieder) in Ordnung zu sein. In Reimform wirbt die Jugendorganisation der SPD auf Neuköllns Straßen für die anstehende Reichstagswahl. Rechts hat sich ein kleines Mädchen mit Schleifchen auf das Foto gemogelt. Vortrefflich könnte man sich den Wonneproppen auf einem aktuellen Wohlfühl-Wahlplakat des heutigen amtierdenden SPD-Bürgermeisters Klaus Wowereit vorstellen. Einfach zum Knuddeln!

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Im August 1934 sind die guten Manieren aus den Wahllokalen verschwunden. Reichskanzler Adolf Hitler will sich per Volksabstimmung als Diktator bestätigen lassen, um nach dem Tod Hindenburgs, dessen Posten als Reichspräsident gleich mit zu übernehmen. Vor der Neuköllner Gaststätte Willy Bräunig in der Elbestraße befehlen menschliche Litfaßsäulen, dem noch unschlüssigen Wähler, wo dieser sein Kreuzchen zu setzen hat. Überraschendes Ergebnis: Ja, das Volk folgt dem braunen Kobold der NSDAP!

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Vier Jahre zuvor im Jahr 1930 herrscht beim Sonnenwendfest der Sozialistischen Arbeiter Jugend noch fröhliche Ausgelassenheit. Nach kollektivem Chorgesang, soll das Feuer auf dem Tempelhofer Feld entzündet und mit ihm das böse Hakenkreuz abgefackelt werden. Wer sich von den abgebildeten Herrschaften zehn Jahre später in einem KZ wiederfindet, ist nicht überliefert.

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Manche Dinge ändern sich nie. Streik bei der BVG. Dass die Mitarbeiter der Berliner Verkehrsbetriebe im Oktober 1932 gegen Lohnraub protestieren, wäre auch 80 Jahre später nichts Besonderes. Dass aber auf jenem Plakat für Fahrpreisermässigung (!) geworben wirbt, wäre heute unvorstellbar. Solidarität kann sich eben in Zeiten knapper Kassen kaum noch jemand leisten.

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Streik, die Zweite. Erstmal muss die alte Dame das Plakat studieren, bevor sie merkt, was hier abgeht: Mieterstreik! Ja, richtig gehört! Anfang der 30er Jahre wurde in Neukölln bereits gegen zu hohe Mieten protestiert. Wüssten die Leute damals schon, was man heute für eine Dachkaschemme am Weichselplatz berappen müsste, das kleine Kollektiv würde zum Sturm auf den Reichstag blasen.

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Im August 1951 werden den potentiellen Besuchern von Erich Honeckers Weltjugendfestspielen die Wassermassen zwischen die Zähne geballert. Aus der Zukunft grüßt hier schon die schwäbische Bereitsschaftspolizei. Stuttgart 21-Szenen am baldigen Neuköllner Todesstreifen Heidelberger- Ecke Wildenbruchstraße.

Antikriegstag 1967 HermannplatzZum Antikriegstag 1967 werden am Hermannplatz Flugblätter verteilt und Mahnwachen abgehalten. Sogar das Neugeborene im Kinderwagen interessiert sich für die Broschüren des jungen Mannes. Das Kleine ahnt wohl schon, dass irgendetwas faul ist im Staate Vietnam.

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Als Friedenstaube rollt der Kinderwagen und die ganze Familie demonstriert am Tag der Arbeit des Jahres 1981. Nicht nur in Neukölln ist die Rolle der Frau mittlerweile eine andere, und so gibt Papa dem Kleinen selbstverständlich das Fläschchen. Was sich am Straßenbild bis heute kaum verändert hat: Die Brillenmode von Tante und Oma. Der letzte Schrei!

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Am 22. Januar 1994 wird auf dem Hermannplatz gegen die Sparpläne der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung protestiert. Mit den treffenden Worten: „Sparen wir uns diese Regierung“ – ein mittlerweile zeitloser Protestslogan in Bezug auf schwarz-gelbe Regierungsbündnisse.

Nr_06 Wahlen schlecht gelaufen? Demo nix bewirkt? Da hilft zum Stressabbau nur noch eines: Auf die Fresse! Allerdings ist vorliegende Massenschlägerrei aus einem Theaterstück der 20er Jahre entnommen. Schön geschauspielert, kann man da nur sagen.

Archivmaterial © Museum Neukölln

In Zusammenarbeit mit dem Geschichtsspeicher des