Habemus GroKo?

An die tausend CDU-Mitglieder stimmten bereits über die Teilnahme an einer möglichen neuen Großen Koalition ab, die SPD-Mitglieder haben es nun ebenfalls getan. Mit 66 Prozent haben sie im Mitgliederentscheid für den Eintritt in eine Große Koalition getsimmt. Was bedeutet die neue GroKo für die in Neukölln lebenden Menschen? Wir haben Neuköllner Politikerinnen und Politiker nach ihrer Meinung zur neuen Großen Koalition befragt.

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Sonntag, 4. März 2018

Von Karoline Spring (Illustrationen) und Matthias Horn (Text)

„Habemus GroKo“ – so oder so ähnlich schallte es vor einigen Wochen von den Dächern des Konrad-Adenauer-Hauses, der Bundesgeschäftsstelle der CDU. Weißer Rauch blieb zwar aus, dafür folgte ein Schmierentheater sondergleichen mit dem Titel: „Das Drama des Herrn Schulz“. Nun geht die SPD also erneut das Wagnis GroKo ein. Wir haben uns bei Neuköllner Politikerinnen und Politikern umgehört.

Wer ist dafür und wie wird das begründet?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dr. Fritz Felgentreu (SPD)

„Politik ist die Kunst des Machbaren.“

Der Abgeordnete Fritz Felgentreu sitzt für die SPD-Neukölln im Bundestag und ist sicherheits- und verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. „Die so genannte „Jamaika“-Koalition wäre nach dem Wahlergebnis vom September die beste Lösung gewesen. Sie hätte die Chance zur Polarisierung der politischen Mitte geboten: Hier die unionsgeführte, konservativ-bürgerliche Mehrheit, dort die SPD – als, nennen wir sie: progressiv-bürgerliche, führende Kraft der Opposition“, gibt er gegenüber neukoellner.net an. Der alte Ideenwettstreit zwischen einem linken und einem konservativen Modell wäre wieder greifbarer geworden – dies wäre eine Chance für die Demokratie gewesen, gibt Felgentreu weiter an. Diese Chance sei jedoch durch die FDP zerschlagen worden.

Nichtsdestotrotz stimmt Felgentreu dem Koalitionsvertrag zu, da er bei den für Neukölln relevanten Themen Bildung/Familie, Mieten/Wohnen, Arbeit und Integration positive Auswirkungen sieht.

„Gewiss: Was wir erreicht haben, ist nicht deckungsgleich mit unseren Wahlkampfzielen.“

„Dass wir bei der Überwindung der Zwei-Klassen-Medizin keinen echten Fortschritt sehen, empfinde ich als besonders schmerzlich. Aber wenn wir aus Verärgerung über das nicht Erreichte alles, was wir jetzt für Millionen Menschen in Deutschland und Tausende in Neukölln konkret tun können, in den Wind schreiben, werden wir dem eigenen Anspruch nicht gerecht. Politik ist die Kunst des Machbaren.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dr. Franziska Giffey (SPD)

„Wir müssen mit Stolz das vertreten, was wir erreicht haben und mit aller Kraft dafür arbeiten, wieder mehr Menschen davon zu überzeugen.“

Mit der Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey findet sich eine weitere prominente Befürworterin der möglichen erneuten Großen Koalition. „Was wir ganz konkret in Neukölln brauchen, sind Investitionen in Bildung, in Ganztagsschulplätze und in Kitas – auch mit der Unterstützung des Bundes. All das steht im Koalitionsvertrag“, schrieb sie in einem Gastbeitrag in der Berliner Zeitung.

„Dass man mit einem Wahlergebnis von 20,5 Prozent nicht 100 Prozent der Wünsch erfüllt bekommen kann, ist klar.“

„Aber nur, weil nicht alles auf dem Teller liegt, wonach mir der Sinn steht, lehne ich doch nicht das ganze Essen ab. Ich erlebe jeden Tag die Realität eines Stadtteils, der von Bildungsferne, Parallelgesellschaften und vielfältigen sozialen Problemlagen geprägt ist.“

„Wir brauchen eine Bundesregierung mit der SPD, die die Kommunen bei diesen wichtigen Fragen unterstützt. Ich finde nicht, dass wir es für Deutschland verantworten können, uns in die Opposition zurückzuziehen“, heißt es dort weiterhin.“

Kritik aus den Reihen der Oppositionsparteien

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Lucia Schnell (die Linke)

„Die SPD hat sich bei den Nachverhandlungen in keinem Punkt durchgesetzt.“

Lucia Schnell, eine von zwei Pressesprechern der Linken Neukölln, sieht bei den sozialen Themen wie Verbesserungen im Gesundheitssystem, bei der Altersarmut, dem sozialen Wohnungsbau und dem geringen Familiennachzug für subsidiär geschützte Geflüchtete keine Verbesserungen für die in Neukölln lebenden Menschen.

„Die SPD hat sich bei den Nachverhandlungen in keinem Punkt durchgesetzt“.

Die im Koalitionsvertrag festgehaltenen Änderungen bei der Befristung von Arbeitsverträgen seien „löcherig wie ein Schweizer Käse“, für die vielen Hartz IV-Empfänger gäbe es ebenfalls keine Verbesserung ihrer Lebensumstände. Eine nicht vorhandene Reichensteuer, die Aufrüstung der Bundeswehr sowie den fehlenden Klimaschutz kritisiert sie ebenfalls.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Georg Kössler (B90/die Grünen)

„Man kann nur hoffen, dass die SPD-Mitglieder diese Farce nicht mitmachen.“

Georg Kössler sitzt für die Neuköllner Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin. Für ihn ist das Thema Umwelt- und Klimaschutz deutlich unterrepräsentiert, lediglich beim Ausbau erneuerbarer Energien sieht er eine Verbesserung – dies sei jedoch seit acht Jahren der kleinste gemeinsame Nenner gewesen. Da der Klimawandel weltweit schreckliche Folgen hätte, beträfe er auch die Menschen in Neukölln. Der Bereich Mieten/Wohnen bereitet Kössler ebenfalls Sorge:

„Die GroKo hält ihre Versprechungen hier in keinster Weise.“

„Wohnen in der Innenstadt wird unter der GroKo bald nur noch was für Reiche. Die zusätzlichen Gelder für den Wohnungsbau sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Lediglich „bauen, bauen, bauen“ hilft auch nicht – das ist Politik des letzten Jahrhunderts.“

Ferner sieht Kössler die Mietpreisbremse nicht ausreichend gestärkt. So würden die Probleme Neuköllns nicht gelindert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anne Zielisch (AfD)

„Die Fortführung der GroKo bedeutet ein Weiterso auf allen wichtigen Politikfeldern.“

Anne Zielisch sitzt für die AfD Neukölln in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) uns spart nicht an Kritik in typischer AfD-Manier. „Die Fortführung der GroKo bedeutet ein Weiterso auf allen wichtigen Politikfeldern. Durch den Familiennachzug und die weiterhin offenen Grenzen wird sich in Neukölln die Wohnungsnot weiter verschärfen, die Qualität der Schulbildung weiter abnehmen und der radikale Islam weiter ausbreiten, denn die Migranten aus dem arabischen Raum zieht es dorthin, wo sich bereits Parallelgesellschaften gebildet haben.“

„Eigentlich braucht Neukölln einen Zuzugsstopp, wie ihn Cottbus kürzlich erwirkt hat, um seine Probleme in den Griff zu bekommen. Das wird nur mit der AfD möglich sein.“

Des Weiteren sei es sinnvoll, einen Zuzugsstopp in Neukölln einzuführen; eine Minderheitsregierung sieht sie als sinnvollere Regierungskonstellation.

„Statt einer Groko wäre Deutschland in der aktuellen Situation mit einer Minderheitsregierung besser dran. So könnte die konservative Mehrheit im Bundestag konservative Positionen verabschieden und den fatalen Kurs der vergangenen Jahre allmählich umkehren.“

Wer hat jetzt recht?

Letztlich besteht Politik aus Kompromissen und davon gäbe es so einige im Falle einer erneuten Großen Koalition. Bei den für die in Neukölln lebenden Menschen relevanten Schwerpunkten Arbeit, Familie, Mieten/Wohnen, Integration und Bildung wurden keine guten Ergebnisse erzielt. Die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen wurde nicht abgeschafft, sie wurde lediglich eingeschränkt. Hartz IV-Empfänger werden im Vertrag nicht bedacht.

Das Kindergeld soll in den kommenden 4 Jahren stufenweise um 25 Euro erhöht werden, die Renten vorerst auf dem heutigen Niveau bleiben. Die Mietpreisbremse, die vielen Neuköllnerinnen und Neuköllnern zugute käme, soll im Laufe des Jahres neu bewertet werden, für den sozialen Wohnungsbau soll es erst 2020/2021 Geld geben. Lediglich das Recht auf Ganztagsbetreuung für Schüler ist eine sinnvolle Erneuerung.

Für die Bevölkerung in Neukölln würde sich im Falle einer Großen Koalition also nicht viel ändern, auch wenn einige gute Absichten im Koalitionsvertrag zu finden sind.

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