Ein bisschen Frieden

Im Neuköllner Restaurant Lavanderia Vecchia gibt es feine italienische Landhausküche – für Hartz IV-Empfänger einmal im Monat kostenlos.

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Mittwoch, 25. Mai 2011

Sonnabend, 13 Uhr, Flughafenstraße. In der Lavanderia Vecchia, der alten Wäscherei, dampfen die Kochtöpfe. Ein junges Paar betritt das Restaurant im zweiten Hinterhof. Dort, wo bis vor einem Jahr Tischwäsche gereinigt wurde, stehen nun cremefarbene Holzküchentische. Es duftet nach Rosmarin, italienische Schlager schmachten aus dem Radio und in der Mitte plätschert ein Brunnen in einer gusseisernen Tonne. Geschirrtücher sind an Wäscheleinen quer durch den Raum gespannt. Die Backsteinwände haben Patina angesetzt, an manchen Stellen sind sie in farbiges Neonlicht getaucht. Der junge Mann sieht sich staunend um und raunt seiner Freundin ein „wow!“ zu.

Soul-Food für Berlinpass-Inhaber

Ein zweites Paar steht ein wenig unbeholfen am Eingang. Die Frau zupft am Riemen ihrer roten Gürteltasche. Beide sind blond und Mitte 30. Ein Restaurantbesuch gehört nicht zu ihrem Alltag. Sie haben sich zum Mittagsmenu in die Lavanderia Vecchia aufgemacht, das an diesem Samstag für Berlinpass-Inhaber kostenlos ist. Den Berlinpass bekommen Bewohner der Stadt Berlin, die Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Hartz IV sowie Asylbewerberleistungen beziehen. Für alle anderen Gäste kostet das Mittagsmenu 8,- Euro.

Die Bestellung für Essen und Getränke gibt man gleich vorne an der „cassa“ ab. Dort erklärt Inhaberin Renate Hoffman, was heute serviert wird: „Vorab ein Süppchen aus weißen Bohnen, zum Hauptgericht casarecce funghi, gedrehte Nudeln mit Pilz-Sugo und Parmesan, zum Nachtisch Quarkcreme mit hausgemachtem Himbeermouse.“

Die Köche der Lavanderia Vecchia arbeiten in einer offenen Küche, es zischt und brutzelt. Schwungvoll werden Schalotten und Knoblauch geschnitten und in Olivenöl geschwenkt. Das Neuköllner Restaurant serviert solide italienische Landhausküche, keine kulinarischen Trends. Die Köche vertrauen auf das, was sich als Soul-Food, als Nahrung für die Seele, bestens bewährt hat. Abends geht es edler zu. Für 39,- Euro wird ein 4-Gänge-Menu serviert, Reservierung ist Pflicht.

Geldwäsche hilft

Das junge Paar hat inzwischen an einem Tisch neben der „Fontana die Trevi“, dem Trinkgeldbrunnen, Platz genommen. Die Chefin ordnet augenzwinkernd an: „Trinkgeld bitte hier hinein. Das ist unsere Art von Geldwäsche.“ Das gewaschene Geld ist entscheidend, denn davon finanziert das Team das kostenlose Menu für Hartv IV-Empfänger. „Diejenigen, die genug haben, sollten etwas abgeben – das war schon immer meine Philosophie“, erklärt Renate Hoffmann, die schon vor der Lavanderia Vecchia eine Armenküche in ihrem Haus in der Flughafenstraße betrieben hat. Jeden Tag bewirtete sie 50 Bedürftige. Seit einem Jahr führt sie nun gemeinsam mit ihrem Mann Andreas Hoffmann das italienische Restaurant.

Die Restaurantchefin trägt knallroten Lippenstift und ihr graues Haar im Nacken gebunden. Sie ist gebürtige Neuköllnerin. Den Wandel ihres Kiezes erlebt sie als positiv. Sie freut sich, dass immer mehr Studenten hierhin ziehen, dass sich in Neukölln Generationen und Kulturen mischen, denn „alles, was sich nicht mischt, ist Ghetto“, sagt sie, „so ist es viel lebenswerter.“

Ein Restaurant wie sein Kiez

Freundlich wendet sie sich dem nächsten Kunden zu: Ein junger Kinderchirurg mit Kunststoffbrille und Jutetasche steht an der „cassa“ zur Bestellung bereit. Er ist aus dem Reuterkiez hier hoch in die Flughafenstraße geradelt. Ein kleines, dunkelhäutiges Mädchen in Blumen-Leggins flitzt hinter ihm vorbei. Einer Studentin und ihrem Vater wird gerade der Hauptgang serviert, auf ihrem Tisch liegt eine FAZ. Daneben sitzt eine übergewichtige Frau, die auch während des Essens ihre Umhängetasche nicht ablegt. Sie tunkt ein Stück Weißbrot in Olivenöl. Das Brot wird lauwarm serviert, mit zartem Hefegeschmack, ein wenig dichter als typisches italienisches Landbrot. Immer wieder hört man hier Brotkrusten knacken, wenn Kellner die hausgebackenen Laiber rasch aufschneiden und großzügig auf die Brotkörbe verteilen.

Hinter einer Glaswand sind Wäscherei-Utensilien ausgestellt: ein Zuber und ein antikes Waschbrett. Eine weiße Waschmaschine rotiert in monotonen Umdrehungen. Unter den gespannten Wäscheleinen schlüpft ein junger Italiener mit Nasenpiercing hindurch und serviert dem blonden Paar das Dessert. Fast die Hälfte der etwa 50 Gäste waren an diesem Samstag Berlinpass-Inhaber, schätzt Renate Hoffmann.

Die Gäste lassen sich Zeit beim Essen. Sie füllen die alte Wäscherei mit dem warmen Klang fröhlicher Gespräche. Wie an einer großen Tafel sitzen sie zusammen, essen und trinken gemeinsam. Das raue Neukölln scheint hier gezähmt, geborgen und wohlig gesättigt. Ein Restaurant voller simpler Sinnlichkeit und bedingungslosem Genuss, das für die Vielfalt der Neuköllner steht.

Lavanderia Vecchia
Flughafenstr. 46
Mittagstisch Di-Fr 12.00-14.30, Sa 13.00-15.00
Abendmenu 19.30
www.lavanderiavecchia.de

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