Kiezladen vor dem Aus

"Wir brauchen Raum für Alternativen zum kapitalistischen System", sagte eine der Rednerinnen auf der Demo für den Erhalt der Friedel54.

„Wir brauchen Raum für Alternativen zum kapitalistischen System“, sagt eine der Rednerinnen am 9. April auf der Demo für den Erhalt der Friedel54.

Sie haben lange gekämpft und sehen nun der Zwangsräumung entgegen: Die Betreiber des Kiezladens F54 sollen ihre Räumlichkeiten bis Ende April verlassen. Die übrigen Bewohner des Hauses in der Friedelstraße fürchten horrende Mieterhöhungen durch Luxussanierung.

Fotos: Emmanuele Contini

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Montag, 17. April 2017
 

Ein warmer Sonntagnachmittag im April. Vor dem Kiezladen F54 in der Friedelstraße haben sich um die hundert Leute versammelt. Es gibt selbst gemachtes Gebäck, kalte Getränke und Kaffee gegen einen kleinen Obolus. Ein Rednerpult ist aufgebaut, ein Dj spielt Hintergrundmusik. Die friedliche Zusammenkunft hat leider einen ernsten Hintergrund, der klar wird als Matthias Sander, Pressesprecher der Betreiber des F54, das Mikrofon zur Hand nimmt. Für die Solidargemeinschaft, welche die Gewerberäume im Erdgeschoss des Hauses in der Friedelstraße 54 seit nunmehr dreizehn Jahren bewirtschaftet, scheint die Zeit abgelaufen – die Räumungsklage der neuen Eigentümergesellschaft Pinehill s.à.r.l. ist rechtskräftig. Das Kollektiv rechnet mit der Zwangsräumung Ende April.

Formal gesehen ist dies auch folgerichtig – die Betreiber hatten einem Gerichtsvergleich, welcher die Nutzung der Räumlichkeiten bis zum 31. März dieses Jahres duldet, zugestimmt. Miete zahlt das Kollektiv schon seit Mai letzten Jahres nicht mehr, der Mietvertrag wurde zum 30. April 2016 gekündigt. Doch so eindeutig die Rechtslage auch ist, ein fader Beigeschmack bleibt.

Wem gehört die Immobilie?

Nachdem die Besitzer des Hauses in den letzten Jahren einige Male wechselten, kaufte die Wiener Citec Immobilien Gruppe das Gebäude im Dezember 2013. Bekannt für Luxussanierungen und horrende Mieterhöhungen, u.A. in der Rigaer Straße in Friedrichshain, machte sich die Immobilienfirma alsbald auch in der Friedelstraße ans Werk, ein Gerüst aufzubauen, um die Fassade zu sanieren. Da die Immobilienfirma offenbar im Sinne hatte mehr als zehn Prozent des Gebäudes zu sanieren, was bei alten Gebäuden von Gesetzes wegen her bedeutet, dass zusätzlich gedämmt werden muss, wiesen sie laut Anwohnern die Handwerker an, einen Teil der Fassade selber zu zerstören. Eine Sanierung dieses Umfangs rechtfertigt eine eminente Anhebung der Miete, Energieeffizienz hat ihren Preis. Anwohner, die noch alte Mietverträge besitzen, hätten teilweise mit einer 200-300 prozentigen Mieterhöhung rechnen müssen. Der daraus resultierende Protest und die Klagen der Hausgemeinschaft sollten die geplanten Baumaßnahmen stoppen, was auch für circa anderthalb Jahre gelang. Schlussendlich sah man bei der Citec Gruppe von einer kompletten Fassadensanierung ab und besserte nur einige Stellen aus – somit hat die Mietpreisbremse vorerst Wirkung gezeigt.

Hier sieht man die teilweise ausgebesserten Risse an der Fassade und an den Balkonen.

Welche Gegenmaßnahmen wurden von den Mietparteien ergriffen?

Aus Angst vor weiteren Versuchen, das Gebäude entgegen dem Wunsch der Mietergemeinschaft zu sanieren, setzen sich die Hausbewohner zusammen und kamen zu dem Schluss, das Haus selber zu kaufen, sei die beste Lösung für alle Beteiligten. Mit Hilfe des Mietshäuser Syndikats gelang es den Mietern dann auch, Geld für den geplanten Erwerb der Immobilie aufzubringen. Und so machte sich Ende April letzten Jahres eine circa 80 Personen zählende Delegation in einem angemieteten Bus auf den Weg nach Wien, um der Immobiliengesellschaft ein Kaufgesuch zu unterbreiten. Nach einigem Hin und Her gewährte diese den Mieterparteien dann auch mündlich das Vorverkaufsrecht für das Haus.

Was darauf hin folgte, mutet zumindest kurios an: Der jetzige Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, Thorsten Elsholtz, war zum Zeitpunkt der Verhandlungen einer der Berater der Citec Immobilien Gruppe und an allen Verkaufsgesprächen beteiligt. Recherchiert man ein wenig über den Mann, findet man schnell heraus, dass Elsholtz ebenfalls Sprecher der vermutlich rechts gesinnten Berliner Burschenschaft Gothia war. So verwundere es laut den Mietern nicht, dass das mündlich zugesicherte Vorverkaufsrecht zu Gunsten der Luxemburger Briefkastenfirma Pinehill s.à.r.l. gekippt worden ist – die Hausgemeinschaft vermutet hier politisch motiviertes Handeln.

Solidaritätsbekundungen für den Kiezladen findet man überall in Neukölln. Hier ist ein Slogan im Schillerkiez zu sehen.

Der Umstand, dass nur 20.000 Euro zu wenig zusammenkamen, erhärtet ihre These – das fehlende Geld hätte mittels Spenden gesammelt werden können, so zwei Aktivisten. Was können die Betreiber noch tun? Die rechtlichen Mittel für einen Verbleib des Kiezladens sind erschöpft, was für die Betreiber allerdings nicht heißt, den Laden kampflos aufzugeben. Angesichts der Ankündigung des Kollektivs, die Gewerberäume nicht freiwillig zu räumen, rechnet Neuköllns Bürgermeisterin Franziska Giffey laut taz mit einer möglichen Zuspitzung des Konflikts, ähnlich den Zuständen in der Rigaer Straße in Friedrichshain. „Ich sehe den sozialen Frieden in Neukölln gefährdet, sollte sich die Lage in der Friedelstraße 54 zuspitzen. Hier gibt es Parallelen zu den besetzten Häusern in der Rigaer Straße.“ Die Solidarität anderer linker Gruppierungen ist dem Kiezladen sicher, somit scheint Giffeys Aussage zumindest nachvollziehbar, auch wenn niemand der Aktivisten explizit von gewaltsamen Gegenmaßnahmen gesprochen hat.

Besteht noch Hoffnung auf einen Verbleib des Kiezladens?

Aufgrund der Tatsache, dass die Kommunikation zwischen beiden Parteien von Anfang an nicht existent und die erste Kontaktaufnahme der neuen Eigentümergesellschaft eine Räumungsklage war, sieht es so aus, als sei der Abzug aus den Räumlichkeiten unumkehrbar. Hinzu kommt auch, dass die Hausverwaltung Secura und die Pinehill sich die Schuld für die mangelnde Kommunikation mit der Solidargemeinschaft gegenseitig in die Schuhe schieben. Die Fronten sind verhärtet, eine Annäherung ist wohl nicht mehr möglich.

Die neue Eigentümergesellschaft kommuniziert ausschließlich über ihren Berliner Rechtsanwalt Heiko Waskow. Anhaltende Versuche der Kontaktaufnahme zu der in Luxemburg ansässigen Firma scheiterten. Die nötigen Stellen, um Milieuschutz betreiben zu können, wurden erst nach dem Verkauf des Gebäudes geschaffen, der Milieuschutz im Reuterkiez greift bei besagtem Gebäude nicht.

Die sonntäglichen Demonstrationen der unfreiwilligen Hausbesetzer sollen weiterhin stattfinden – so lange bis ihr Raum zur „Alternative zum kapitalistischem System“ von eben jenen genommen wird.

 

 
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