„Hier weiß ich, für wen ich Politik mache“

Jan-Christopher Rämer (Foto: Anna Blattner)

Jan-Christopher Rämer (Foto: Anna Blattner)

Jan-Christopher Rämer ist seit April dieses Jahres Neuköllner Bildungsstadtrat. Nach zehn Jahren in der Bundespolitik kehrt der Giffey-Nachfolger heim in seinen Bezirk. Ist das ein Abstieg? (mehr …)

Dienstag, 21. Juli 2015

Jan-Christopher Rämer kommt ins Büro, er geht an seinen Platz, wirft seine Tasche in die Ecke und setzt sich vor den Computer. Sein Haar ist schulterlang, er trägt einen Dreitagebart, wirkt sportlich, jugendlich. „Nein, morgen komme ich nicht“, sagt er. „Ich muss mal wieder nach Potsdam.“ Rämer studiert dort Geografie, nebenher arbeitet er als Hilfskraft im Büro des Elmshorner Bundestagsabgeordneten Ernst Dieter Rossmann. „Man muss eben schauen, welche Partei am besten zu einem passt und sich dann entscheiden.“

Das war Anfang 2010. Viel ist passiert in den letzten fünf Jahren. Zum Beispiel hat Jan-Christopher Rämer sich entschieden. Der Bart ist nun etwas länger, etwas dichter, die Haare dafür kürzer. Seit April dieses Jahres ist der SPD-Mann Rämer Bildungsstadtrat in Neukölln – der jüngste in Berlin, er ist 34 Jahre alt, also noch ein Juso-Mitglied.

„Hier in Neukölln weiß ich einfach, für wen ich Politik mache“, sagt Rämer. „Ich gehe in die Schulen und blicke in strahlende Augen, sehe die Zahnlücken, wenn die Kinder lächeln.“ Zehn Jahre war Rämer in der Bundespolitik tätig, unter anderem in der Bundestagsfraktion und als persönlicher Referent im Bundesministerium für Umwelt – das große Spiel, wichtige Entscheidungen, das Zentrum der Macht. Warum nun Neukölln? Ist das ein Abstieg? Mitnichten, Rämers Amt wurde zuvor bekleidet von Franziska Giffey, die nach dem Abtritt des umstrittenen wie populären Bezirksbürgermeisters Heinz Buschkowsky wiederum dessen Amt übernehmen konnte. Als Bezirksstadtrat kann sich Rämer für höhere Weihen empfehlen – gerade mit dem Thema Bildung kommt ihm viel Aufmerksamkeit zu. Rämer ist auf-, nicht abgestiegen.

Erste eigene Wohnung in der Hermannstraße

Sein Arbeitsplatz befindet sich im Neuköllner Bezirksamt in der Nähe der U-Bahnstation Boddinstraße. Vorzimmer, Sekretärin, großer Raum, Konferenztisch. Es gibt Rixdorfer Fassbrause und Cola. Rämer schenkt sich letztere ein. „Die war schon offen und muss jetzt weg“, sagt er. Es sei ein Nachhausekommen gewesen, jeden Tag treffe er Leute auf der Straße, die er kennt, einfach schön. Rämer ist in Neukölln aufgewachsen, hat mit seiner Familie in Britz und Buckow gelebt, seine erste eigene Wohnung hatte er an der Hermannstraße, lange bevor Teile des Bezirks zu begehrten Nachbarschaften wurden.

Kennt sich auch aus in der Bundespolitik: Jan-Christopher Rämer mit dem Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner im Körnerpark. (Foto: Anna Blattner)

Kennt sich auch aus in der Bundespolitik: Jan-Christopher Rämer mit dem Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner im Körnerpark. (Foto: Anna Blattner)

Nach der letzten Regierungsbildung im Bund 2013 zog Rämer ins Umweltministerium ein. Auf einmal beschäftigte er sich mit Haushaltsfragen in Sachen Stadtpolitik, es ging um Etats in Höhen bis zu 150 Millionen Euro. „Ich saß in einer Verhandlung und dann zack, bewilligt“, sagt Rämer. „Für mich war das keine abstrakte Summe, ich habe sofort Bolzplätze gesehen, an das Quartiersmanagement gedacht.“ In Neukölln in der Kommunalpolitik geht es für ihn nun darum, zu gestalten und umzusetzen, was auch woanders beschlossen wird. „Ich habe die Gelegenheit gesehen und bin dann voll in die Kommunalpolitik eingestiegen“, schiebt er nach.

Politikertypus alter SPD-Schule

Rämer hat eine offene Art, er erzählt begeistert von seinem Bezirk und den Menschen. Dabei berlinert er sogar manchmal. Dann aber schaltet er um, zitiert den französischen Soziologen Pierre Bourdieu, spricht abstrakt von sozialen Räumen. Rämer ist ein Politikertypus alter SPD-Schule, wie ihn der moderne Politikbetrieb kaum noch zulässt. Er verkörpert das Hemdsärmelige des Genossen in der Kleingartenkolonie, dann berlinert er, spricht über die Jungs auf der Straße. Er kann aber auch den Intellektuellen mimen, vor allem, wenn es darum geht, Politikziele zu formulieren oder zu beschreiben. „Wir brauchen eine stärkere soziale Durchmischung in Neuköllner Schulen“, erklärt er. Der Bezirk habe sich in den letzten Jahren wegen der vielen Zuzügler tiefgreifend verändert. Bildungsorientierte Familien müssten hier gehalten werden und nicht wegziehen, bevor ihr Kind eingeschult werde, sagt Rämer. Die 62 Schulen in Neukölln sind Rämers Feld. Hier muss gearbeitet werden, um den Bezirk positiv zu verändern. Er möchte mehr Ganztagsschulen und so eine bessere Betreuung schaffen.

In seinem Büro hängt eine Karte, auf der Neuköllns Schulen markiert sind. In einer Raumecke steht ein Eishockeyschläger, Sinnbild für einen weiteren Aufgabenbereich des Stadtrats. „Ich komme leider nicht mehr oft dazu, zu spielen“, sagt Rämer. „Aber immerhin fahre ich noch regelmäßig ins Eisstadion Neukölln.“ Durch Sport könne jeder wichtige Erfahrungen sammeln, lerne Respekt und Gemeinschaft. Die Vereine im Bezirk kennt Rämer gut. Sie seien eine wichtige Säule für das Zusammenleben in der Stadt. Wie er politisch wirkt, ob er sich wie einst Giffey mit dem Amt als Bildungsstadtrat profilieren kann und Neukölln nach vorne bringt? Leidenschaft und Erfahrung hat er, das steht fest.

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