Als sich am Donnerstagmittag das große Portal des markanten Baus an der Karl-Marx-Straße für kurze Zeit öffnete, war die Neugier der Passanten riesig – waren sie es doch gewöhnt, seit vielen Jahren nur an verrammelten Türen und Fenster vorüberzugehen. Die Dornröschenschlossähnlichkeit war nicht von der Hand zu weisen. War der Märchenprinz gekommen, um im Kostüm der „Commodus – Entrepreneurial Real Estate“ neues Leben einzuhauchen?
Die vielen Herren in dunklen Business-Anzügen und die eine weißgekleidete Dame – die Neuköllner Bürgermeisterin –, alle mit Bauhelmen, geschmückt mit einer gelben Taube, deuteten auf einen besonderen Anlass hin: Die Übergabe der Baugenehmigung für den Umbau des riesigen Gebäudekomplexes, der – bis auf aufregende Zwischennutzungen – seit vielen Jahren leergestanden hatte. Die Rede ist von der Alten Post.
Mitten im bettelarmen Rixdorf
Das Gebäude kennen alle Neuköllner, die seit 1906 hier lebten und leben: Es ist ein Prachtstück kaiserlicher Postarchitektur, die ja reichsweit spektakuläre Bauwerke hervorbrachte – und dies mitten im bettelarmen Rixdorf, in einer Wachstumsexplosion begriffen. Die Bevölkerung nahm jährlich um circa 13 Prozent zu und war 1906 bei rund 170.000 Menschen angekommen: Den Arbeitern so kaiserliche Macht zu demonstrieren und sie sogar daran partizipieren zu lassen, indem sie ihre Briefmarke dort kaufen konnten, machte wohl Sinn.
Das Gebäude wurde sogar in Richtung Donaustraße erweitert durch ein Fernmeldeamt und füllte einen ganzen Häuserblock, mit einem prächtigen Entré an der Ecke, einer Balustrade zur Magistrale Karl-Marx-Straße, die geradezu um Fanfaren bettelte, einer riesigen Schalterhalle und vielen geheimnisvollen Zimmern zum Sortieren und Verwalten von allem, was einst „die gelbe Post“ umfasste. Mit dessen Zerschlagung hatte man in den 70er, 80er Jahren lange zu arbeiten.
Lehrstück in staatsmonopolistischem Kapitalismus
2007 war dann endgültig Schluss, aber da war schon fast nichts mehr übrig: Die Geschichte des Gebäudes hatte man seit Jahren sorgfältig eliminiert, schicke Stahlröhrendecken ersetzten Stuck, eine Rolltreppe das Pracht-Treppenhaus. Und dann verkaufte die Deutsche Bundespost ihre Immobilien-Kronjuwelen, denn sie waren an zentralsten Orten der Städte positioniert – so auch in Neukölln. Und niemand kümmerte sich. Stadtentwicklung war ein unbekanntes Wort. Und die Käufer, die sich in das Postimmobiliengeschäft begaben, waren von dem Staat als Verkäufer finanziell so gut gepampert, dass sie keinen Gewinn machen mussten, der Leerstand brachte es. Ein Lehrstück in staatsmonopolistischem Kapitalismus vor aller Augen.
Während dieses Demontageprozesses gab es viele Neuköllner, die diesem schleichenden Leerstand und der Aushöhlung verständnislos gegenüberstanden. Der Verfall des einstigen Palastes war quasi symbolisch für den Prozess, dem die ganze Straße unterworfen war. Phantasie (leider nicht finanziell unterfüttert) entfaltete sich. Ein Hochzeitspalast, ein großer Interkultureller Markt („Markthalle 9“ x 10), Produktionsstätte für kleine Handwerksbetriebe, Fitness-Center, Restaurants, Bürgertreff, Modemessezentrum, Sauna-Landschaft, Riesen-Dancing auf drei Etagen. Die Kulturleute erlangten die Erlaubnis der Zwischennutzungen und präsentierten Kunstprojekte nicht nur zu „48 Stunden“, Schul-Kunst-Ausstellungen wie der „Roten Faden“ der Rütlischule rangen mit dem Raum, der junge „Heimathafen“ fand dort seine zweite provisorische Spielstätte.
Jugendkunstzentrum „Young Arts“ kann wohl bleiben
Zwischennutzungen kommen und gehen, man kann sich auf nichts verlassen. Bis es gelang, das ganz junge „Young Arts“, das Jugendkunstzentrum, in Zusammenarbeit mit der ebenso frischen Jugendkunstschule, in den unscheinbaren Fernsprechamtsräumen in der Donaustraße unterzubringen, gegen erträgliche Mietzahlungen an einen der Immobilienzwischenbesitzer, finanziert aus einem merkwürdigen Sanierungs-Extra-Fonds („A+“). Ja, und die Räume des „Young Arts“ scheinen die einzigen zu sein, die aus der Phantasiephase in die neue Realität übergehen – vertraglich gesichert in der Baugenehmigung. Die Bürgermeisterin ist darauf sehr stolz.
An der Spitze der Unternehmen, die Geld in das Vorhaben stecken, um damit Geld zu verdienen („Eine einzigartige Immobilie mit hohem Wertschöpfungspotential“), steht „Commodus – Entrepreneurial Real Estate“, mit Sitz in München und Berlin, die sich schwerpunktmäßig auf „Büroimmobilien mit Wertschöpfungsbedarf“ in deutschen Großstädten fokussiert haben, und zwar eher auf komplexe und komplizierte. Finanzierungspartner ist die Landesbank Baden-Württemberg.
Ein geschickter Schachzug ist die frühe Einbindung von „Regus, dem weltweit größten Anbieter flexibler Bürolösungen“ als Mieter für mehr als 4.600 Quadratmeter Bürofläche, die dieser selbst als Co-working-Spaces entwickeln wird, unterschiedlichster Größe, aber alle mit Top-Ausstattung, Top-Design und vermutlich Top-Preisen, inklusive Top-Kaffeemaschinen. Die Bezirksbürgermeisterin, Franziska Giffey, wies gleich darauf hin, dass Neukölln die größte Konzentration von Kaffeeröstereien europaweit anbiete, unschwer im Bereich Grenzallee zu riechen. Kooperation bietet sich an. Der Managing Partner von Commodus bewies Lokalkenntnis: „Wir sind davon überzeugt, dass Neukölln auf seinem Weg zu einem angesagten Szenebezirk von der Revitalisierung der Alten Post profitieren wird.“
Eine Kita wurde wieder aus der Planung gestrichen
Dieser Co-working-Space, der Bedarfe der internationalen Start-ups bedient, scheint die Kernidee des entstehenden Komplexes zu sein. Er wird weiterhin ein großes Restaurant, Einzelhandel (aber kein Einkaufszentrum) und Wohnungen in neu zu bauenden Seitenflügeln des Hofes bereithalten: „Keine Luxuswohnungen“, wurde betont – keine biete einen Kamin an. Das alte Fernmeldeamt werde um zwei Etagen aufgestockt für große Wohnungen. Ansonsten werde eher für Studenten („figli di Papa“), Young Professionals, Expats und kleine Familien geplant – also für die Neuköllner von heute. Eine Kita wurde wieder aus der Planung gestrichen, weil es nicht genügend Spielgelände gebe.
All diese Vorstellungen klingen durchaus nicht unseriös, und dennoch wird es denen, die das Gebäude sehr gut kennen und für seine Nutzung gekämpft haben, ein wenig klamm ums Herz. Die „Gelbe Post“ – an die mit dem Signet einer blassgelben Taube erinnert wird – verschleuderte ihre Schätze verantwortungslos und signalisierte mit dem Zustand des „Anchor Building“ der Karl-Marx-Straße den Verfall, und die Stadt sah zu. Mehr als ein Jahrzehnt musste verstreichen, bis von privater Seite Fakten geschaffen wurden. Die Sanierungsgesellschaft BSG hatte vor sieben Jahren zu einer Zukunftswerkstatt eingeladen, ohne – außer ein bisschen Geld – auch nur halbherzige Unterstützung von Senats- oder Bezirksamt zu bekommen. Sie blieb folgenlos. Die einfallsreiche Neuköllner Kulturlandschaft versuchte sich an Visionen – ohne Geld. Es ist gut, dass dem Verfall ein Ende gesetzt wird – wenn alles gut geht. Das Bezirksamt achtet auf den Denkmalschutz. Die Bürgergesellschaft aber hat sich aus der Verantwortung gestohlen.