Jugendstadtrat will „schnelle Eingreiftruppe“ für das Jugendamt

Amtsgericht Tiergarten, zuständig für straffällig gewordene Neuköllner Jugendliche

Amtsgericht Tiergarten, zuständig für straffällig gewordene Neuköllner Jugendliche

Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU), fordert eine schnelle Eingreiftruppe des Jugendamts für „minderjährige Intensiv- und Schwellentäter“. Populismus oder ein sinnvolles Upgrade des „Neuköllner Modells“? (mehr …)

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Donnerstag, 4. Dezember 2014

Von Torben Lehning

Mit den Worten „wenn ein Drittklässler einen Mitschüler mit Tritten an den Kopf malträtiert, darf man dabei nicht tatenlos zusehen“, leitete Neuköllns Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) in der gestrigen Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) im Rathaus Neukölln seine Ausführungen ein. Sein Vorhaben: eine „schnelle Eingreiftruppe“ des Jugendamts für „Intensivtäter aus arabischen Großfamilien“, wie er sie nannte.

Liecke attestiert dem Jugendamt Neukölln eine unkoordinierte Arbeit bei der Betreuung und Verfolgung „jugendlicher Intensiv- und Schwellentäter“, deren Anzahl er in Neukölln auf 100-150 Jugendliche schätzt. Die Kriminalitätsrate von minderjährigen Straftätern sinkt bundesweit, doch Liecke kritisierte, „die Maßnahmen des Jugendamts seien nicht optimal und zu oft geschehe es, dass straffällige Jugendliche und deren Familien das Jugendamt an der Nase herumführten““

Interkulturelle Lücken im Jugendamt?

Um dem entgegenzuwirken, fordert der Neuköllner Jugendstadtrat eine „Eingreiftruppe“, bestehend aus zwei bis vier Sozialarbeitern. Ihre Hauptaufgabe: die Kommunikation zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendgericht, Schulen und Eltern zu koordinieren, um eine schnellere Verurteilung der Jugendlichen zu erleichtern. Diese Sozialarbeiter sollten „interkulturelle Kompetenzen“ aufweisen, wie er in der BVV berichtete, also „mit der Sprache und den Gepflogenheiten der Jugendlichen und deren Familien“, vertraut sein.

„Interkulturelle Kompetenzen“, ein sehr unglücklich gewählter Begriff, sind doch hoffentlich alle Mitarbeiter des hiesigen Jugendamts interkulturell geschult. Bezieht man Lieckes Aussagen auf die sprachlichen Kenntnisse der Sozialarbeiter seiner Eingreiftruppe, so dürfte es schwer sein, einen multikulturellen Sozialarbeiter zu finden, der sowohl türkisch als auch russisch, arabisch, bulgarisch, polnisch usw. spricht. So liegt der Schluss nahe, dass Liecke tatsächlich an eine Eingreiftruppe denkt, die speziell nur arabische Großfamilien betreuen soll – zumindest betonte er diesen Personenkreis wiederholt in der BVV am vergangenen Mittwoch. Liecke wies das jedoch in einem Folgeinterview mit neukoellner.net zurück.

Das „Neuköllner Modell“ – nicht klug genug?

Lieckes Forderungen erinnern stark an das „Neuköllner Modell“, welches 2010 von der Neuköllner Jugendrichterin Kirsten Heisig angestoßen wurde, um straffällige Jugendliche schneller zu verurteilen. Nachdem Heisig Suizid beging, erschien ihr Buch „Das Ende der Geduld„, in dem sie die Verhältnisse, in denen jugendliche Straftäter sozialisiert werden, anprangerte und die Behörden zum Handeln aufforderte. Erst kürzlich bezeichnete Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) Heisigs Modell als erfolgreiches und kluges Instrument. Das Neuköllner Modell: nicht klug genug für den Stadtrat?

So fragte auch Gabriele Vonnekold (Bündnis 90/Die Grünen) in der BVV nach, ob das Jugendamt eine neue Taskforce brauche, und ob  das Neuköllner Modell denn nicht mehr angewandt werde. Liecke erwiderte, das Neuköllner Modell beziehe „Intensiv- und Schwellentäter“ nicht mit ein und würde nur kleinere Strafvergehen behandeln. Daher sei es inadäquat, um wiederholt straffällig werdenden Jugendlichen entgegenzutreten.

Konkretes Konzept 2015 erwartet

Dem Berliner Tagesspiegel zufolge wurde in den Jahren 2013 und 2014 nur jeweils ein Fall nach dem Neuköllner Modell behandelt. Für ihn, so Liecke, sei dies ein Ansporn, die Vernetzung der Ämter weiter voranzutreiben. Ein Aspekt der neuen Eingreiftruppe sei es, eine Einverständniserklärung der Eltern von jugendlichen Straftätern einzuholen, die es der Polizei, den Schulen und dem Jugendamt möglich machen soll, Daten und Informationen über die Straftäter auszutauschen. Es sei wichtig, „die Jugendlichen so früh wie nur möglich und noch in jungen Jahren, auf dem Schirm zu haben“.

Es stellt sich aber die Frage, inwiefern eine solche Eingreiftruppe angesichts der bereits bestehenden Maßnahmen und ihrer minimalen Personalausstattung lediglich symbolpolitischen Charakter trägt – und angesichts der Fokussierung auf arabische Straftäter in ihrer Wirkung dabei in Richtung einer ganz bestimmten Wählerschaft zielt. Auch fragt sich, wie eine kleine Gruppe von Sozialarbeitern an das Problem arabischer Clans herantreten soll, zum Beispiel zum Einholen einer Einverständniserklärung bei Eltern von Kindern aus kriminellen Familienstrukturen.

Populistische Symbolpolitk ohne Effekt  oder wirksames Upgrade des Neuköllner Modells, ein „Ende der Geduld Vol. 2“? Im kommenden Jahr soll das konkrete Konzept der Eingreiftruppe von Liecke und Mitarbeitern des Jugendamts Neukölln vorgestellt werden.

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