Abenteuerspielplatz für junge Stadtutopisten

Titel

Der Eingang zum Junipark im St. Thomas-Kirchhof (Foto: Mi Ohlendorf)

Was denken Jugendliche und junge Erwachsene über Themen wie Gentrifizierung und Mietenexplosion? In was für einer Stadt wollen sie leben? Darum geht es im Kunstprojekt „Junipark“. (mehr …)

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Samstag, 7. Juni 2014

Um aktuelle Diskussionen unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen rundum ihre Wohnsituation, um Gentrifizierung, Mietenexplosion und vor allem auch um die Erfindung von Stadtutopien geht es im Kunstprojekt „Junipark“. Vom 3. bis 29. Juni wird der Neuköllner St. Thomas-Kirchhof bespielt: Mit Nachbarschaftsaktionen, Theatervorstellungen, Ausstellungen und Infoveranstaltungen. Gemeinsam mit Künstlern, Anwohnern und Besuchern entwerfen die Jugendlichen ihre „Wohnträume“. Projektleiterin Anne Paffenholz weiß Genaueres.

Wie sind die Initiatioren des „Junipark“ überhaupt auf das Thema Wohnen gekommen?
Anne Paffenholz:
Die „wohnwut“-Kampagne – eine Befragung von Jugendlichen zu ihrer Wohnsituation, die der Auslöser war für den „Junipark“ – ist eine Initiative von Barbara Meyer, der Leiterin des Jugend- und Kulturzentrums Schlesische27. In den Kursen gibt es sowohl die Rechtsanwaltstochter mit Pony auf der Koppel als auch den Flüchtling oder Leute aus prekären Familiensituationen. Und da hat sie das ein oder andere Gespräch über unterschiedliche Wohnsituationen mitgekriegt, ‚wie, so wohnst du? Wenn’s bei dir Zuhause so schlimm ist, warum ziehst du dann nicht einfach aus?‘, ‚Ja, weil, ich hab‘ halt kein Geld.‘ Oder wenn in den Handwerkskursen Objekte gebaut werden, sind da einige Teilnehmer, die die nicht mit nach Hause nehmen. Und wenn Barbara dann nachgefragt hat, warum denn nicht, ‚ich hab‘ gar keinen Platz zuhause. Ich hab‘ gar kein Zimmer.‘ Hinzu kommt natürlich, dass sich diese ganze Entwicklung ja auch in der Stadt spiegelt, mit steigenden Mieten und Kiezverdrängungsprozessen, und deshalb wollten wir das Thema noch mal speziell aus der Perspektive junger Menschen beleuchten.

Was kann der „Junipark“ der fortlaufenden Debatte über steigende Mieten, Gentrifizierung und Verdrängung denn noch hinzufügen?
Die Jugendlichen sagen, ‚also eigentlich sind wir diejenigen, die hier den sogenannten Markenkern in Berlin ausmachen, hip, innovativ, jung, improvisierend, kreativ, charmant. Wir tragen ganz viel dazu bei, dass die Stadt so attraktiv ist. Und gleichzeitig haben wir überhaupt keinen Schutz, seitens der Politik, Hauseigentümern oder Immobilienfirmen und werden über kurz oder lang diesen Wohnraum in den Innenstadtbezirken gar nicht mehr bezahlen können.‘ Es geht ihnen also nicht darum, zu jammern, ‚wir sind die Opfer und wir werden so gemein behandelt‘, sondern selbstbewusster aufzutreten und zu sagen, ‚hey, wir tun auch ganz viel dafür, dass die Stadt dieses weltweit attraktive Image überhaupt bekommen hat.‘ Darüber hinaus wollen wir den Jugendlichen eine Stimme geben. Dadurch, dass Regisseure, Performance-Künstler, Musiker, Choreografen, Bühnenbildner oder Bildhauer ihnen Ausdrucksmöglichkeiten geben, ihre Ideen künstlerisch zu verarbeiten. Und, um sie einem Publikum zugänglich zu machen, nicht nur als Unterhaltung und nettes Kulturevent, sondern um Diskussionsstoff auszulösen.

Rundgang am 04.Juni, nachmittags: Werkelatmosphäre, Soundcheck und große Begeisterung bei der Fotografin (Fotos: Katrin Friedmann)

Schaut man vom Tempelhofer Feld aus auf den St. Thomas-Kirchhof, den ihr als „Junipark“-Gelände nutzt, dann sieht man eine riesige Gerüststruktur. Was hat es damit auf sich?
Die Gerüststruktur, in der der „Junipark“ stattfindet, gebaut von raumlaborberlin, einer Aktionsgemeinschaft für Architektur und Urbanismus, ist von Grund auf so angelegt, dass sie sich in den vier Wochen, die wir dort aufhaben, verändert und transformiert, durch die Projekte, die dort stattfinden. Zum Beispiel haben wir Todosch Schlopsnies beauftragt, der ist Bühnenbildner und Bildhauer, dort eine Woche mit einer Schulklasse sozusagen in die Lüfte zu gehen und mit leichtesten Materialien alternative Wohnwege zu erfinden und zu bauen. Der Bühnenbildner Fred Pommerehn wird sich mit einer Klasse mit dem Thema Eigentum auseinandersetzen und einen Installationsparcours entwerfen, in dem die Recherchen dazu abgebildet werden. Und es gibt eine musikalische Performance mit Schülern der Neuköllner Otto-Hahn-Schule, die darüber nachdenken, was ihnen fehlen würde, wenn sie bald umziehen müssten und was ihrem Kiez fehlen würde, wenn sie fort wären, und die als Umzugskapelle über das Gelände ziehen.

Geht es bei den Aktionen von „Junipark“ auch um politische Forderungen? Was haben sich die Jugendlichen vorgenommen?

Anne Paffenholz (Foto: privat)

Anne Paffenholz (Foto: privat)

Es gibt die Aktionsgruppe „Rederei“, die einen dezidiert politischen Anspruch formuliert und die der Angstpolitik auf dem Wohnungsmarkt entgegentreten und ihn als Lebensraum zurückerobern möchte. Sie veranstaltet zum Beispiel Talkrunden dazu, wie es weiter geht mit dem Tempelhofer Feld, diskutiert Stadtutopien, und es gibt auch eine Zusammenarbeit mit den Initiativen Kotti & Co oder der Berliner Mietergemeinschaft, denn klar ist auch: wir erfinden das Rad ja nicht ganz neu. Es gibt die Idee, eine

sogenannte Klage- und Wunschmauer zu installieren, wo sich alle Besucher – egal ob jung oder alt – verewigen und ihre Beiträge leisten können. Und wir wollen zum Abschluss des „Junipark“, am 29. Juni, eine „wohnwut“-Charta formulieren, in denen wir diese ganzen Forderungen und Utopien zusammentragen – um sie dann politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsträgern zu übergeben.

Der Junipark findet vom 3. bis 29. Juni 2014 statt auf dem Neuköllner St. Thomas-Kirchhof (zwischen Tempelhofer Feld und Hermannstraße). Mehr Informationen zum Programm findet hier hier.

 
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