Kiesbett, wie damals

p>Kaminski On Air“ treibt mit irrwitzigem Stimmen-Spektakel Wagners „Das Rheingold“ über die Bühne der Neuköllner Oper.

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Mittwoch, 13. Juli 2011

Stefan Kaminskis Bühne ist eine Hörspielwerkstatt. Jutesäcke voller Blechgeschirr, Steinplatten, Hammer und Rettungsfolie. Scheppern, Klopfen, Knistern werden live und handgemacht zu Klangkulissen für Wagners Nibelungen-Welt. Geräusche ziehen das Publikum hinunter in die Unterwelt Nibelheim, hinauf in die Götterburg Walhall. Kaminski flößt mit genialem Stimmenspiel diesen Klangräumen Leben ein. Die gesamte Rheingoldbesetzung spielt er alleine: die Rheintöchter, die Zwerge Alberich und Mime, die Riesen Fasolt und Fafner sowie die Götter Wotan, Fricka, Freia, Loge, Donner, Froh und Erda. Er gleitet fließend von einer Rolle in die andere mit irrwitziger Stimmkraft und erstaunlicher Verwandlungskunst.

Die Füße im Kiesbett

Kaminski schauspielert brustaufwärts, vor allem mit der Stimme, der Mimik, den Armen und hin und wieder mit zurückgeworfenem Kopf. Das gesamte Stück hinweg sitzt er auf einem grauen Drehstuhl an einem Tisch, vor sich ein Sammelsurium an Klangerzeugern. Was nicht sofort ins Auge sticht: Unter der Tischplatte stehen seine Füße in einer Box voller Kies. Das Kiesbett ist ein Requisit, das in den längst vergangenen Hörspiel-Blütezeiten der 1950er und 60er Jahre in keinem Studio fehlte. Es ist eine großartige Huldigung Kaminskis an die Kunst des Hörspielmachens. Es ist Sinnbild dafür, wie Hörspielkunst funktionieren kann. Denn während der Schauspieler spricht und seine Füße über das Kiesbett scharren, eröffnen sich für den Hörer Außenwelten, in denen sich der Protagonist voran bewegt. Die Riesen Fasolt und Fafner marschieren über Kaminskis Kiesbett auf ihrem Weg nach Walhall.

Die Machart Kaminskis ist eine, die schon in den 60ern praktizierbar gewesen wäre, von ein paar Synthesizer-Effekten abgesehen. Akustisch erinnert sie ein wenig an die Brachial-Akustik des Klangkünstlers Andreas Ammer, mit der er in den 90ern die Hörspiel-Szene aufmischte. Zuweilen auch an Rammstein. Aber Kaminski spielt Wagner. Zumindest die Handlung.

The ring is back!

Der Schauspieler war bis 2007 festes Ensemblemitglied des Deutschen Theaters. Die Produktion „Kaminski On Air – Der Ring des Nibelungen“ ist dort entstanden, bevor sie auf die Bühne der Neuköllner Oper kam. „Hallo Neukölln, the ring is back!“, begrüßt Kaminski mit zur Schau getragener Selbstsicherheit sein Publikum. Die Lust, die von dem Stimmkünstler ausgeht, ist die eines Hörspielenthusiasten des Neuen Hörspiels der 60er Jahre. Die nämlich setzten sich über das ästhetische Kräfteverhältnis des klassischen Hörspiels der 50er Jahre hinweg, das reines Sprachhörspiel war. Sie schöpften die gesamte Bandbreite akustischer Mittel aus. So macht es auch Kaminski. Er stellt ein Rheingold zur Schau, das nicht, wie die konventionelle Oper vorrangig von Musik und Gesang lebt – auch wenn Hella von Ploetz und Sebastian Hilken an Glasharfe, Kontrabass und Percussion einen hochrangigen, minimal-musikalischen Klangrahmen bilden. Kaminski spielt  auf der Bühne Geräusche, Töne, Sprache und Stille aus. Er komponiert daraus Figuren und Räume seiner lebendigen Wagner-Adaption.

Er greift in alle akustischen Schubladen, wobei die Stimme dann doch die Hauptrolle bekommt. Schließlich ist es Kaminskis Stimme und der drahtige Blonde ein Selbstdarsteller. Zu Beginn der Vorführung, erweckt er wie ein Zauberer mit einem beherzten, magischen Handgriff in der Luft sein Markenzeichen, ein On Air-Schild, durch Licht zum Leben. Nun ist Kaminskizeit, hier leuchtet das Licht. Seine Allüren sind Teil der Show, er kann es sich leisten, denn was anschließend kommt, ist hinreißend.

Zwergen-Hip Hop

Krawall und Remmidemmi, der Schauspieler gebiert wahnsinnige Kreaturen mit seiner Stimme, ohne, dass diese zum Klamauk verkommen. Herausragend ist Alberichs Zwergen-Sprechgesang, der als Hip Hopper die G-g-g-götter verspottet und lässig den Song „Die Uhr, sie tickt und tickt“ performt. Die Rheintöchter stimmen als überspannt-zirzende Background-Sängerinnen ein.  Weiterhin durchzieht das furiose Riesen-Duo Fasolt und Fafner das Stück. Sie klopfen Steine für den Bau von Walhall, Kaminski bringt dazu einen gelben Bauhelm zum Einsatz. Fasolt ist der jammernde Bedenkenträger, Fafner der berlinernde Macho-Riese. „Ende Gelände!“, setzt Fafner der Wehleidigkeit seines Partners entgegen, „bist du kein Riese?“.

Auch Tolkien kommt zum Einsatz, Wagner und er schöpften aus ähnlichen mythologischen Quellen: „Ein Ring sie zu knechten“. So kriecht auch Gollum aus Kaminskis Miene hervor. Rheingold ist der Vorabend des „Ring des Nibelungen“. Und „Kaminski On Air“ bringt im Juli den gesamten Ring auf die Bühne der Neuköllner Oper. Schön ist: Die Produktion funktioniert für Wagner-Kenner genauso wie für jedermann, der einfach Lust auf ein grandioses Klangspektakel hat. Sie ist irre witzig, was an Kaminski liegt, und vielschichtig – Wagners diffizile Menschheitsstudie funktioniert hier auch in unkonventionellem Gewand.

 

 

Weitere Vorstellungen:
Rheingold: 19. und 26.  Juli
Walküre: 14. / 21. / 28. Juli
Siegfried: 15. / 22. / 29. Juli
Götterdämmerung: 16. / 23. / 30. Juli

Neuköllner Oper
Karl-Marx-Straße 131-133
Berlin-Neukölln

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