„Jeder Mensch hat eine besondere Energie“

Ella Rumpf hat zurzeit einen Lauf. Anlässlich des Starts von Jakob Lass’ Film „Tiger Girl“, in dem sie eine Hauptrolle spielt, trafen wir sie zum Interview. (Foto: Katha Mau)

Ella Rumpf gilt seit dem Erfolg des Films „Chrieg“ als vielversprechender Schweizer Nachwuchsstar. In Jakob Lass’ „Tiger Girl“ spielt sie ein junge Frau, die ihren Weg notfalls mit Gewalt geht. Wir sprachen mit der Wahl-Neuköllnerin über weibliche Gewalt, Improvisation beim Dreh und was ihr beim Schauspielen wichtig ist.
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Donnerstag, 6. April 2017

Ella Rumpfs Leben ist in Bewegung. Zwischen Paris und Berlin, Zürich und London hat die gerade einmal zweiundzwanzigjährige Schauspielerin mit französisch-schweizerischer Herkunft die kurze Zeit seit ihrem Schulabschluss verbracht. Aktuell lebt sie in Neukölln. Dreharbeiten sind der Grund, aber auch Neukölln selbst, dessen Lebendigkeit und Durchmischung Ella Rumpf schätzt.

An einem vorfrühlingshaft sonnigen und frühen Sonntagmittag treffen wir uns in einem kleinen Café mitten im Schillerkiez. Erschöpft von zwei Nachtdrehs kommt Ella Rumpf in Espadrilles, Lederjacke, Jeans, mit schlicht nach hinten gebundenen Haaren und ungeschminkt zum Interview – eine frisch aus der Maske kommende Diva mit Stöckelschuhen, Kleid und Allüren ist sie nicht. Dabei gilt sie Schweizer Medien schon seit dem Erfolg des mit dem Max Ophüls Preis ausgezeichneten Films „Chrieg“ von 2013 als neuer heimischer Nachwuchsstar mit vielversprechender Zukunft; für ihre Rolle in dieser Geschichte über Jugendliche in einem in den Schweizer Bergen gelegenen Erziehungscamp war sie beim Schweizer Filmpreis als beste Nebendarstellerin nominiert.

2017 – das Jahr der Ella Rumpf?

Das Jahr 2017 scheint den Lobreden Recht zu geben: In der ersten Märzhälfte dieses Jahres feierten bereits zwei Filme Premiere, in denen Ella Rumpf mitspielt: der international beachtete Film „RAW“ startete in den USA und in Frankreich sowie in der Schweiz. Dazu „Die göttliche Ordnung„, in dem es um das Frauenwahlrecht in der Schweiz geht; und aktuell dreht sie in Berlin mit Detlev Buck für seinen nächsten Film „Gorillas“, der spätestens 2018 in die Kinos kommen soll.

Anlass für unser Gespräch ist jedoch der am 6. April in den deutschen Kinos anlaufende Film „Tiger Girl“. Unter der Regie von Jakob Lass wurde er 2015 in Berlin gedreht. Ella Rumpf spielt darin eine der beiden Hauptrollen. „Tiger Girl“ erzählt von der Begegnung zweier junger Frauen in Berlin. Während die von Maria Dragus gespielte Vanilla eigentlich zur Polizei will, aber bei der Aufnahmeprüfung scheitert, lebt die von Ella gespielte Tiger weniger nach allgemeinem Recht und Gesetz, als vielmehr nach eigenen Regeln. Nachdem die beiden Frauen sich zufällig kennen lernen, ziehen sie zeitweise gemeinsam und dabei immer wieder gewalttätig durch die Stadt.

neukoellner.net: In drei deiner bisher wahrscheinlich wichtigsten Filme, in „Chrieg“, „Raw“ und „Tiger Girl“ spielt Gewalt eine große Rolle. Auch wenn das wohl eher zufällig sein wird: Was bedeutet Gewalt als Motiv im Film für dich?

Ella Rumpf: Die drei Filme haben trotz der Gemeinsamkeit von Gewaltdarstellungen ganz verschiedene Themen, die sie behandeln. Nichts desto weniger behandeln aktuell tatsächlich viele Filme, vor allem im Independentkino, Gewalt als Phänomen. Vielleicht weil grundlose Gewalt gerade in unser aller Leben so präsent ist, das Gefühl dafür so stark ist, so dass es dadurch Thema in der Kunst wird.

Kannst Du etwas genauer fassen, welchen Zusammenhang zwischen Gewaltdarstellungen im Film und allgemeinen Entwicklungen du meinst, welche gesellschaftliche Stimmung das ist, die ihren Niederschlag zurzeit im Film, und hier vielleicht vor allem im Independentkino, findet?

In Tiger Girl gibt es immer wieder scheinbar grundlose Ausbrüche von Gewalt der beiden weiblichen Hauptfiguren. Auf der anderen Seite gibt es in der Realität immer wieder weibliche Opfer von grundloser Gewalt, wie etwa zuletzt im U-Bahnhof Hermannstraße, als eine Frau offenbar vollkommen ohne Anlass eine Treppe herunter getreten wird. Es wirkt manchmal so, als hätten die Menschen ein immer stärkeres Hilflosigkeitsgefühl, das Gefühl, nichts bewirken zu können, auch politisch gesehen. Es ist zum Teil diese Hilflosigkeit, die in Tiger Girl aufgegriffen wird.

Aber ein großer Unterschied zu den Vorfällen im U-Bahnhof Hermannstraße ist doch, dass in Tiger Girl einmal Frauen nicht Gewalt erleiden und zum Opfer werden, sondern zu Täterinnen. Dass also ein typisches weibliches Rollenmuster bzw. Stereotyp durchbrochen wird: das von der Frau als passivem Opfer.

Ich glaube, die Filmemachern haben die Rollen in „Tiger Girl“ bewusst mit Frauen besetzt, und nicht mit Männern, um die Geschichte zu erzählen. Aber als ich den Film gemacht habe, war es für mich überhaupt kein Thema, dass ich in dieser Rolle eine Frau bin, die das macht. In meiner Sicht ist Gewalt gar nicht nur männlich, wie es sonst oft gesehen wird, sondern auch weiblich.

Wenn Geschlechterrollen für dich im Film keine große Bedeutung hatten, wie bist du dann an die Gewaltthematik, die in diesem Film doch zentral scheint, herangegangen?

Tiger lässt sich als Charakter nicht herunterziehen durch das, was sie erlebt hat. Sie hat dadurch gelernt, sich durchzusetzen. Und wenn ihr jemand in die Quere kommt, wenn sie etwas als unfair oder ungerecht erachtet, dann wehrt sie sich, auch indem sie dreinschlägt. Aber sie hat eine klare Idee, bei wem sie Gewalt einsetzt und bei wem nicht, sie würde niemals jemanden grundlos schlagen. Und gleichzeitig ist sie sehr extrem in ihren Aktionen. Als sie auf Vanilla trifft, wird sie so etwas wie ein kleines Projekt von Tiger. Vanilla sucht bei der Polizei klare Strukturen. Sie glaubt, der einzige Weg, um so etwas wie Selbstvertrauen zu finden, sei diesen klaren Strukturen zu folgen, die einem auch Freiheit gäben. Tiger sieht das nicht so. Sie versucht Vanilla zu zeigen, dass sie diese Strukturen und Grenzen nicht braucht; dass sie selber aus sich heraus stark sein und klare Grenzen ziehen kann. Dabei hat Tiger durchaus ihre moralische Regeln und die versucht sie Vanilla durch ihre Handlungen und Gewaltaktionen beizubringen. Sie vermittelt Vanilla dadurch: Du kannst das! Du bist stark. Aber plötzlich vergisst Vanilla diese Regeln und damit, dass die Gewalt bei Tiger eigentlich nicht grundlos ist.

Vanilla vergisst, dass die Gewalt bei Tiger nicht grundlos ist. (Foto: Constantin Film Verleih/Fogma)

Tiger ist also reflektiert, sie braucht eine Motivation, einen Grund für die Gewalt, die sie dann in diesem Augenblick auch für moralisch richtig und gerechtfertigt hält?

Genau. Zum Teil sind es auch sehr provozierend antikapitalistische Aktionen, wenn sie Leute in einem Einkaufszentrum abzockt. Aber das hat immer mit einer Motivation zu tun, während Vanilla schließlich durch den Akt der Gewalt nur ihr Ego aufpusht. Und eigentlich hat sie dabei diese moralische Grundlage nicht. Dadurch dass sie diese Grundlage nicht hatte, entwickelt sie sich zu einem Monster, das auch Tiger hintergeht. In diesem Sinne ist es ein Film, der eigentlich für alle ist: Wir glauben immer, dass wir richtig handeln, richtig denken, friedvoll sind. Aber was haben wir mit unseren Aktionen, auch wenn wir es gut meinen, eigentlich für einen Einfluss auf andere Leute, die vielleicht nicht den gleichen Boden, nicht die gleiche moralische Grundlage haben?

Der Film reflektiert also, wann und ob Gewalt überhaupt gerechtfertigt ist. Manche Kritiker haben das nach der diesjährigen Berlinale, wo der Film in der Sektion „Panorama Special“ gezeigt wurde, nicht unbedingt so gesehen.

Aus meiner Sicht, auch wenn sie nicht unbedingt objektiv ist, war das genau das Ziel, als ich mit dieser Figur gearbeitet habe, dass es auch um die Reflektion der Figur Tiger geht, vor allem das generelle Infragestellen eigener Überzeugungen und Ideen. Es ist wirklich kein Film, der für eine Lösung steht, sondern der einfach nur sagt: Reflektiert! Für mich ist es das.

Tiger Girl ist unter der Regie von Jakob Lass entstanden. Seine Arbeitsweise ist geprägt von der Improvisation der Schauspieler: „Kein Drehbuch, sondern ein dramaturgisches Skelett. Das Skelett gibt die Sicherheit, das Fleisch der Impro saftig zu machen“, heißt es in einem Statement zu seinem Film „Love Steaks„. Wie war die Improvisation für dich? Neu oder vertraut, leicht oder schwierig?

Ich habe vorher nie wirklich improvisiert, jedenfalls nicht bei einem einzigen Charakter über solch eine lange Strecke. Man muss für die Improvisation auf jeden Fall verstehen, was diese Figur ist, was sie zu erzählen und welche Funktion sie in der Geschichte hat. Das war sehr wichtig für mich. Grundsätzlich kann das Improvisieren eine große Freiheit oder eine große Einschränkung sein, weil ja so viel Freiheit vorhanden ist. Es gibt Tage, an denen man sich nicht mehr hören kann und keine Inspiration hat, und andere Tage, an denen man durch einen neuen Ort oder eine Bewegung neue Ressourcen für die Improvisation findet. Es waren wechselnde Phasen; es gab große Schwankungen; es war aber die ganze Zeit an erster Stelle ein Kampf, um frei zu sein. Denn eigentlich geht man als Schauspieler sehr schnell mit dem Kopf und mit dem Denken an eine Rolle heran. Das ist auch wichtig, aber es ist die Vorarbeit. Bei der Improvisation muss man dem Erarbeiteten vertrauen, aber aus dem Bauch heraus spielen.

Nur auf eine Frage – was Schönheit bedeutet – findet Ella Rumpf spontan keine Antwort. (Foto: Constantin Film Verleih/Fogma)

Muss man sich während der Improvisation also weitgehend vom rationalen Zugang verabschieden?

Ja, auf jeden Fall. Und das ist auch etwas, was der Regisseur wollte, dass wir uns frei machen und dadurch in der Improvisation auf Momente stoßen, an die wir vorher überhaupt nicht gedacht haben und auf die man gar nicht gekommen wäre. Das ist eigentlich das Wesentliche beim Improvisieren, dass man offen ist, für völlig neue Sachen.

Was ist dir beim Schauspielen grundsätzlich wichtig?

Es geht mir auf jeden Fall darum, die Leute zu berühren, mit dem was man erzählt, dass sie das glauben können, was man erzählt. Am besten ist es, wenn ich die Rolle sein kann, wenn man nicht sieht, dass ich spiele und glaubwürdig bin. Dass es in die Geschichte passt und die Leute Spaß daran haben und das glauben. Ich versuche immer, dass ich die Rolle denken kann. Denn jeder Mensch hat eine besondere Energie. Im Charakter findet man eine Energie, wenn man ihn gefasst hat. Und wenn man diese Energie in die Rolle bringen kann, dann ist es gut.

 
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