Die Geschichte ist ein Gespenst

00_Lerato ShadiWie objektiv kann Geschichtsschreibung sein? Ein groß angelegtes Ausstellungsprojekt will die westlich geprägte Darstellung der Vergangenheit relativieren.

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Dienstag, 3. Juni 2014

„Giving Contours To Shadows“ heißt das Projekt, soviel wie „den Schatten Umrisse verleihen“. Was wissen wir schon von der Welt in der Zeit, bevor wir geboren waren? Unsere Vorstellung ist geprägt durch die Geschichtsbücher. Sie spiegeln in der Regel ausschließlich die westliche Wahrnehmung der Dinge wieder. Doch wie gehen beispielsweise afrikanische Gesellschaften heute mit der Kolonialzeit um?

Die Geschichte sei wie ein Gespenst, schreiben die Kuratoren Bonaventure Ndikung und Elena Agudio, das zwischen den Lebenden und den Toten, zwischen hellem Tag und dunkler Nacht schwebt. Mit den Mitteln der Kunst vollen sie dieses Gespenst greifbar machen. Dazu gibt es eine Ausstellung im Kunstverein n.b.k. und im Neuköllner Projektraum Savvy Contemporary sowie ein Performanceprogramm. Außerdem finden das ganze Jahr über Satellitenevents in Marrakesch, Nairobi, Lagos, Dakar und Johannesburg statt. Das Projekt wird gefördert von der Kulturstiftung des Bundes und der Schering Stiftung. Ziel ist es, den künstlerischen Austausch zwischen Berlin und Afrika zu stärken. Afrika ist Ausgangspunkt des Projekts, doch es sind auch Künstler aus Europa und Amerika dabei.

Menschen werden zu Denkmälern

Kiluanji Kia Henda beispielsweise widmet sich in einem Langzeitprojekt den kolonialen Denkmälern in seiner Heimatstadt Luanda, beziehungsweise was davon übrig ist. Nachdem Angola von Portugal unabhängig geworden war, wurden die Statuen der Konialherren entfernt und lediglich die Sockel blieben stehen. Kia Henda befüllt diese Leerstellen, in dem er Performer darauf stellt und die Aktionen filmt. Seine Darsteller werden dadurch auch zu Symbolen des neuen Angolas, das selbstbewusst und lebendig ist.

Badr el Hammami und Fadma Kaddouri weisen mit ihrer Arbeit darauf hin, dass die Geschichtsschreibung auf Zeitdokumente angewiesen ist. In der Kultur der Berber war es jedoch lange Zeit Tradition, Geschichte und Geschichten ausschließlich mündlich zu überliefern. Ein Alptraum für jeden Historiker. In den Siebziger Jahren, als Gastarbeiter aus dem Maghreb nach Frankreich gingen, bürgerte es sich ein, Tonbandaufzeichnungen per Post zu verschicken und so über die Distanz zu kommunizieren. Heute sind diese gesprochenen Briefe zu Relikten geworden, die die Erfahrungen der Fremde auf persönliche Art wiedergeben. Hier bekommt die Vergangenheit eine Stimme.

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Doch bei „Giving Contours To Shadows“ geht es nicht nur darum, in die Vergangenheit zurück zu blicken und das Gestern mit dem Heute in Verbindung zu setzen. Andere Projekte beschäftigen sich mit der Zukunft. Sehr eindrucksvoll ist der aufwändig produzierte Film „Pumzi“. Darin entwirft die kenianische Regisseurin Wanuri Kahiu ein apokalyptisches Bild der Welt nach dem dritten Weltkrieg, in dem um die letzten Wasserreserven gekämpft wurde. Die Menschen leben unter der Erde, aber eine junge Frau wagt sich an die Oberfläche und sucht dort nach Leben. Düstere Aussichten, die allerdings nicht allzu weit hergeholt sind.

Einige Ausstellungsstücke erschließen sich sofort, bei anderen fällt der Zugang schwieriger. Darum sollte man sich am Eingang auf jeden Fall ein kleines Begleitheft mitnehmen, das Biografien aller Künstler und kurze Beschreibungen zu jeder Arbeit enthält. Projekte wie „Giving Contours To Shadows“ machen einem bewusst, wie voreingenommen man manchmal in seinen Sichtweisen ist. Etwa ist es ungewohnt, ausschließlich dunkelhäutige Darsteller in einem Science-Fiction-Film zu sehen.

Die Ausstellung passt in einen Trend in der Kunstwelt: Immer mehr Künstler aus nicht-westlichen Ländern nehmen an wichtigen Ausstellungen teil. Das sieht man an der aktuellen Berlin Biennale, die internationaler ist als je zuvor, auch bei der letzten Documenta und der Biennale in Venedig war dies der Fall. Es wäre schön, wenn dies nicht nur ein kurzer Trend bliebe und mehr Perspektiven aus allen Teilen der Welt Aufmerksamkeit bekommen würden.

Ausstellung bis 31. Juli
Savvy Contemporary
Richardstr. 20
Do-So 16-20 Uhr
www.savvy-contemporary.com
und weitere Orte in Berlin