„Niemand ist objektiv hässlich“

Regisseur Tom Lass spielt die Rolle Ferdi selbst. (Foto: Daredo Media)

Ferdi hält sich selbst für hässlich. Wie praktisch, dass seine Freundin Jona blind ist. Zumindest denkt Ferdi das. Ein Interview mit Regisseur Tom Lass über seinen Film „Blind & Hässlich“ – und nagende Selbstzweifel. (mehr …)

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Donnerstag, 21. September 2017

Interview: Anne Höhn

Der Regisseur und Schauspieler Tom Lass ist zwar in München geboren, fühlt sich aber mittlerweile in Berlin-Neukölln zuhause. In Berlin spielt auch sein neuester Film „Blind & Hässlich“. Die Hauptrolle übernimmt Lass selbst. Die Figur des Ferdi, wie er im Film heißt, hält sich selbst für hässlich. Wie praktisch, dass seine Freundin Jona blind ist. Zumindest denkt Ferdi das. Ein Gespräch über die Bedeutung des Hässlichen.

neukoellner.net: Eine der Hauptfiguren in deinem Film, Jona, ist nicht wirklich blind, sie tut aber so. Wie bist du auf dieses Thema gekommen?
Tom Lass: Ich hab mich gefragt, was hat es für einen Vorteil, wenn man so tut, als sei man blind. Was könnte man alles machen, wenn dein Umfeld denkt, du seist blind? Am Anfang kann es ja Spaß machen. Es ist, als würdest du permanent eine Fremdsprache sprechen und alle um dich herum denken, sie können sich in deiner Muttersprache unterhalten, ohne dass du verstehst, was du tust. Es ist dein Geheimnis. Und auf der anderen Seite habe ich überlegt, was zieht jemanden zu einer Blinden hin? Naja, vielleicht, weil er einfach denkt, er sei hässlich. Und dann ist eine blinde Freundin vielleicht von Vorteil. Diesen Gedanken fand ich interessant.

Tom Lass (Rolle Ferdi) und Naomi Achternbusch (Rolle Jona) (Foto: Daredo Media)

Was ist denn hässlich in deinen Augen?
Niemand ist objektiv hässlich. Hässlichkeit ist etwas sehr Subjektives. Jeder kennt, glaube ich, diese Phasen, vor allem im Teenageralter, in denen man sich einfach unwohl fühlt in seiner Haut und nur daran denken kann, wie er oder sie rüberkommt. Man weißt nicht, wer man ist und fühlt sich hässlich und fragt sich, warum man noch keinen Freund, keine Freundin hat, nicht genug ist und so weiter.

Du spielst selber Ferdi, der sich selbst auch nicht für hübsch hält. Geht es bei ihm rein um das Äußere?
Es ist interessant, wie über den Film in Kritiken geschrieben wird. Der „nicht sonderlich attraktive Ferdi“, als ob das objektiv feststellbar ist. Dabei kannst du von niemandem sagen, er ist hässlich. Du kannst sagen, jemand ist faktisch blind. Aber nicht, jemand ist faktisch hässlich.

Ferdi findet in Jona jemanden, mit dem er sich verbunden fühlt. Lieben wir ehrlicher, wenn wir glauben, die Oberfläche spielt keine Rolle?
Das glaube ich nicht. Wenn es drauf ankommt, spielt das Visuelle nicht die alleinige Rolle. Du verliebst dich ja in viel mehr. Auch in die Stimme von jemandem, wie jemand riecht, wie er oder sie sich anfühlt. Oft verliebt man sich ja aufgrund vieler kleiner Eigenarten abseits des rein Äußeren.

Trotzdem haben die meisten Menschen einiges an sich auszusetzen. Vor allem, so wie Ferdi, in jungen Jahren.
Die Selbstwahrnehmung spielt eine total große Rolle. Ich zumindest bin durch viele Phasen in meinem Leben gegangen, in dem ich immer wieder unzufrieden war und nicht mochte, was ich im Spiegel gesehen habe. Und mir dementsprechend auch nicht vorstellen konnte, das jemand auf mich zugeht. Ich sehe heute manchmal Fotos von mir mit 19 und denke „Man, wie süß“, und dabei fand ich mich zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht süß. Damals waren sogar Mädchen in mich verliebt, ich hab´s aber nicht kapiert, weil ich es mir nicht vorstellen konnte. Man kann ja auch gegenüber seiner Schönheit blind sein. Für mich ist das ein persönliches Thema, aber ich glaube, das kennen viele. Dieses Gefühl, dass einem nicht gefällt, wie man aussieht.

Ihr habt für den Film mit blinden Schauspielern gedreht. Wie war das?
Das Faszinierende ist, es macht gar keinen so großen Unterschied. Aber klar, man muss auch auf bestimmte Dinge Rücksicht nehmen. Und man tritt auch in Fettnäpfchen, streckt die Hand aus und vergisst, das kann ja das Gegenüber gar nicht sehen. Bei der Premierenfeier auf dem Filmfest München beispielsweise meinte eine Fotografin immer wieder „Schau zu mir, zu mir“, bis ich dann meinte, „Du, sie ist blind, sie kann dich daher nicht sehen“. Sowas passiert dann natürlich.

Was dachtest du, als du dich in dem Film gesehen hast, als Ferdi?
Mir hat es Spaß gemacht, die Person von Ferdi, der sich für hässlich hält, auszureizen. Er geht richtig auf in dem Selbsthass und in den Selbstzweifeln. Ich muss aber sagen, ich fand den Film ganz furchtbar im Schnitt. Ich fand einfach alles irgendwann schrecklich. Nach dem Dreh saß ich vor 67 Stunden Material und war total unglücklich. Dabei hatte ich so viel in den Film investiert, ich bin daran fast gestorben. Als „Blind & Hässlich“ fertig war, wollte ich nicht mal zur Premiere, ich wollte ihn nicht mit Publikum sehen. Nach einem Jahr dann, so lange hat die Produktionsphase gedauert, war ich am Ende bei der Premiere. Als alle mir gesagt haben, wie toll sie ihn finden, musste ich eher lachen über meinen Irrtum, und hab mich geärgert, dass ich ein ganzes Jahr mit Selbsthass vergeudet habe. Danach war ich irgendwie leer. Zufrieden und leer.

Du scheinst solche Phasen zu kennen, in denen du zutiefst unzufrieden bist?
Wir reden hier natürlich auch über Depressionen, das ist ein Teil von mir, das kann man ruhig so sagen. Das wird oft genug nicht ausgesprochen, weil es stigmatisiert ist. Dabei betrifft es unheimlich viele Menschen. Diese Erfahrung meinerseits hat auch die Figur des Ferdi entscheidend mit geprägt. Wenn man seine Lebensgeschichte kennenlernt versteht man auch, dass ganz viel in seinem Inneren kaputt ist. Er funktioniert sozial nicht, er fühlt sich verlassen und vor allem hässlich. Dieses abgetrennt sein von der Welt, das Gefühl kenne ich auch.

Und wie kommst du da wieder raus?
Es gibt verdammt gute Freunde. Das zum einen. Und zum anderen kenne ich mich heute besser und bin vor allem aus der Teenagerphase raus. Das ist ja das Tolle, das man aus ganz vielen Phasen rauskommt. Und dann im Rückblick wirklich schätzt, wenn es einem gut geht.

Kino-Premiere am 21.9., 19:30 Uhr im Cineplex in den Neukölln Arcaden.

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