Jetzt reden die Angehörigen der NSU-Opfer

Schauspieler verkörpern die Hinterbliebenen - respektvoll und einfühlend. (Foto: Schokofeh Kamiz)

Schauspieler verkörpern die Hinterbliebenen – respektvoll und einfühlend. (Foto: Schokofeh Kamiz)

Vor genau fünf Jahren stellte sich Beate Zschäpe nach dem Selbstmord ihrer Komplizen der Polizei. Im Dokumentartheater „NSU-Monologe“ der Bühne für Menschenrechte kommen die Hinterbliebenen der Mordopfer des Trios zu Wort. (mehr …)

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Dienstag, 8. November 2016

Von Karina Henschel

Am 8. November 2011, vor fünf Jahren, stellte sich Beate Zschäpe der Polizei. Sie war Teil des Trios, das zehn Morde an türkisch- und griechischstämmigen Mitbürgern und einer Polizistin zu verantworten hat. Der Prozess gegen Zschäpe läuft noch immer und die insgesamt fünf politischen Untersuchungsausschüsse haben Fehler aufgedeckt, die sich nicht mehr nur mit unglücklichen Zufällen weg erklären lassen.

Nun widmet sich die Bühne für Menschenrechte dem Thema und zeigt ihre bereits dritte Produktion im Neuköllner Heimathafen: die „NSU-Monologe“. In dem dokumentarischen Theaterstück werden die Geschichten dreier Hinterbliebener erzählt. Elif Kubasik und Adile Simsek verloren ihre Ehemänner an den rechten Terror, Ismail Yozgat betrauert seinen ermordeten Sohn. Die drei haben sich bereit erklärt, über ihren Schmerz und ihren Verlust zu sprechen. Die Interviews sind die Basis des Stücks. Sie wurden lediglich gekürzt, ohne die Formulierungen der Betroffenen zu verändern.

Drei warmherzige Familiengeschichten

Der Produzent Michael Ruf verwebt die drei Monologe zu einem chaotischen Ganzen. So entsteht eine Geschichte aus drei Stimmen, die sich abwechseln, ein Stichwort aufgreifen und nicht gradlinig nebeneinander herlaufen, sondern sich überschneiden, zurückschauen, um im nächsten Augenblick nach vorne zu blicken. Es gibt nur eine grobe zeitliche Orientierung. Die Erzählung beginnt damit, wie sich die Paare kennengelernt haben oder was das für ein Gefühl war, als der Sohn auf die Welt kam – und wie sie nach Deutschland kamen. Liebevoll und warmherzig klingen diese Familiengeschichten. Umso erschütternder sind die Schilderungen der Morde.

Zwischen 2000 und 2007 wurden zehn Menschen aus ihren Familien gerissen, aus ihren Leben. Ohne eine Vorwarnung oder einen anderen Grund als Hass. Dass die Tragödie damit noch nicht endet, wird klar, wenn die Sprache in den Monologen auf die Zeit nach den Morden kommt. Wenn die Untersuchungen der Polizei geschildert werden – und deutlich wird, wie verletzend die Anschuldigungen dieser waren. Lange Zeit suchte die Polizei nach den Tätern in familiären Kontexten und unterstellte den Opfern, sie hätten ein Doppelleben geführt. Wären Teil der türkischen Mafia, würden Geldwäsche betreiben oder mit Drogen handeln. Selbst das Zuhören tut weh, denn keiner der Vorwürfe stimmte. Auf die Hinweise der Familien, die Polizei solle in rechtsextremen Kreisen ermitteln, wurde nicht weiter eingegangen. In den „NSU-Monologen“ geht es zum Schluss darum, wie das Leben ohne die Väter, Ehemänner und den Sohn weiter geht. Es geht weiter, aber es bleibt eben eine Lücke, die bei jedem Familienfest sichtbar wird.

Großes Einfühlungsvermögen der Schauspieler

Die Schauspieler_innen Selala Gonca Cerit, Selin Kavak (spricht den Text von Elif Kubasik), Atilla Oener (erzählt die Geschichte von Ismail Yozgat) und Hürdem Riethmüller (spricht die Rolle von Adile Simsek) meistern die schwere Aufgabe des reduzierten, dokumentarischen Theaters. Sie verkörpern die Betroffenen mit Respekt und Einfühlungsvermögen und leihen den drei Menschen ihre Stimme auf der Bühne. Es ist eine Gratwanderung zwischen dem dokumentarischen Anspruch, der eigentlich im Widerspruch zum darstellenden Theater steht und dieser Widerspruch wird bei den Schauspieler_innen erkennbar. Sie erzählen nicht ihre Geschichte, sondern sie verkörpern die Personen, denen das Erzählte tatsächlich so passiert ist. Da kann es sich an der einen oder anderen Stelle schon mal holperig anfühlen, aber letztendlich gelingt es, die Geschichten zu vermitteln.

Bei den „NSU-Monologen“ handelt es sich nicht um ein Theaterstück im klassischen Sinn, auch nicht im modernen, darum gelten nicht die gleichen Kritikpunkte. Diese Aufführung hat eine ganz klare Aufgabe: die Geschichten der Opfer zu erzählen. Und das funktioniert. Damit ist die Bühne für Menschenrechte nicht die erste Initiative, auch nicht die erste Theater-Initiative, die sich mit der Geschichte der Hinterbliebenen von NSU-Opfern auseinandersetzt. Bei diesem Stück handelt es sich allerdings um ein langfristiges Projekt, das durch Deutschland touren will, um den Menschen die Schicksale zugänglich zu machen.

Die „NSU-Monologe“ vermitteln, wie folgenreich die Morde für die Leben der vielen Betroffenen waren. Ein Monolog ist dafür die einzig richtige Form. Denn hier geht es ums Zuhören, nicht um einen Dialog oder darum, Fragen stellen zu können. Nur ums Zuhören, um etwas besser verstehen zu können, was diese Tragödien für die Familien bedeuten.

Das Stück ist noch im November und im Dezember im Heimathafen zu sehen (auf deutsch mit türkischen und englischen Übertiteln und auf türkisch mit englischen und deutschen Übertiteln). Außerdem ist eine deutschlandweite Tournee geplant. Wer die NSU-Monologe in der eigenen Stadt aufgeführt sehen will, ist dazu eingeladen, in Kontakt mit der Bühne für Menschenrechte zu treten.

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