Bald wird es düster

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Szene aus „Dr. Ketel – Der Schatten von Neukölln“

Düster heißt, noch ein bisschen schwärzer als die Gegenwart. Und dann wird es vor allem auf jene ankommen, für die das Zwischenmenschliche zählt. Ein Interview mit den Machern von „Dr. Ketel – Der Schatten von Neukölln“, ein Debüt mit amerikanischer Starbesetzung. (mehr …)

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Donnerstag, 22. August 2013

Von Chloé Ribreau

In einer sehr nahen Zukunft. In Neukölln wütet eine Krankheit. Kriminalität und Armut sind weit verbreitet und die Krankenversicherung ist abgeschafft. Der freundlich aussehende, stattliche Dr. Ketel hat eine hohe Berufung: Den Bedürftigen helfen und sie pflegen. Eine völlig barmherzige Absicht, die ihn jedoch in die gefährliche Welt der Illegalität drängt, als er eines Tages beginnt, in Apotheken Medikamente zu stehlen. „Dr.Ketel – Der Schatten von Neukölln“ ist der Titel dieses einzigartigen Films, der als Abschlussprojekt an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin entstanden ist. Ein Gespräch mit den Schöpfern, dem Regisseur Linus de Paoli und seiner Freundin Anna, der Produzentin, die den gleichen Künstlernamen wie Linus trägt.

Wenn ihr den Film in einem Wort zusammenfassen solltet, welches würdet ihr dann wählen?

Linus de Paoli: Das ist keine einfache Frage! In einem Satz würde ich sagen: „Der Konflikt zwischen Berufung und Legitimität.“ In einem Wort würde ich es eher bei der „Berufung“ belassen.
Anna de Paoli: Für mich wären es „Zwischenmenschlichkeit“ und „Solidarität“.

Im Film sind Krankheit und Mord allgegenwärtig. Stellt ihr euch die Zukunft so vor?

L.: Nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart! Die Handlung spielt zwar in der Zukunft,  aber in einer sehr nahen Zukunft. Was im Film gezeigt wird, ist eigentlich sehr real und aktuell, eine Art paralleler Gegenwart. Doch haben wir keinen gesellschaftskritischen Film drehen wollen, der nur ein politisches Problem behandeln würde. Dabei kommt zwar ein kritischer Blick auf die „Zwei-Klassen-Medizin“ heraus, aber das war nicht unsere Priorität. Was uns vor allem interessiert, ist das Zwischenmenschliche, der subjektive und persönliche Einfluss dieses Phänomens auf jeden und auf die ganze Gesellschaft.

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Der Regisseur Linus de Paoli mit den Hauptdarstellern Ketel Weber und Amanda Plummer

Der Film wurde in Neukölln, dem multikulturellsten Bezirk Berlins, gedreht. War das eine Inspirationsquelle, ein Ausgangspunkt?

L.: Ja, natürlich hat uns der Bezirk inspiriert! Anna und ich wohnen in Neukölln, dort haben wir viele Kontakte, wir haben uns im Kiez sehr gut eingelebt. Um den Film zu drehen und das Drehbuch zu schreiben, haben wir uns vom Leben im Kiez inspirieren lassen. Aber das Problem mit der Krankenversicherung betrifft nicht nur Neukölln, sondern die ganze Welt. Die Handlung hätte auch in Prenzlauer Berg oder sogar in Chicago spielen können. Wir beschreiben eine globale Situation. Man sollte das nicht als ein lokales und isoliertes Problem betrachten.

Haben die Bewohner von Neukölln am Dreh des Films teilgenommen?

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Anna de Paoli, die Produzentin

A.: Ja, und wir bedanken uns ganz herzlich bei ihnen für ihre Unterstützung! Dass der Film überhaupt gedreht werden konnte, ist zum großen Teil der Solidarität und dem Enthusiasmus der Bewohner von Neukölln zu verdanken, da wir ein sehr niedriges Budget hatten, das ohne ihre Hilfe für den Film nie gereicht hätte. Zum Beispiel hat uns der Bioladen abends Brot oder tagsüber nicht verkaufte Waren gegeben. Das Kiezbüro hat uns auch sehr geholfen. Wir haben auch einige Szenen in der Wohnung unserer Nachbarin drehen können, sie ist 80 und hat meinen Vater gekannt, als er noch Arzt im Kiez war. Ihre Teilnahme und Unterstützung sind eine rührende Hommage an meinen Vater, der uns für die Hauptfigur inspiriert hat.

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Regisseur Linus de Paoli

L.: Während des Filmdrehs haben wir viel mit den Bewohnern geredet, und so hat jeder mit seiner eigenen Erfahrung einen Teil zum Drehbuch beigetragen. Leider haben wir zahlreiche Szenen wieder rausschneiden müssen, die sehr interessant waren, sich aber zu sehr vom Grundgerüst des Films entfernten. Die 80 Minuten, die wir behalten haben, sind ein Kondensat von dem, was wir in Wirklichkeit gedreht haben.

Apropos, wie habt ihr den Film gedreht?

L.: Das Team war sehr klein, manchmal waren wir nur vier. Vollzählig passten wir alle in zwei Autos hinein, das war praktisch. Da wir den Film mit einem sehr niedrigen Budget gedreht haben, hat der Dreh länger gedauert: Insgesamt 68 Tage, was extrem lang ist. Kennt ihr das Dreieck „gut-schnell-günstig“? Diese drei Voraussetzungen können nicht gleichzeitig erfüllt werden. Für Dr. Ketel ist klar, dass die Schnelligkeit keine Priorität war. „Günstig“, das ist sicher. Und „gut“, das müsst ihr entscheiden!

A.: Schon seit Sommer 2009 hatten wir die Idee des Drehbuchs im Kopf. Sie wurde allmählich klarer und im Frühjahr 2010 wussten wir genau, was für einen Film wir wollten. Sie ist also im Laufe eines Jahres herangereift.

Warum ein Schwarz-Weiß-Film?

L.: Zuerst wegen des Budgets ! Dann, weil das Schwarz-Weiß perfekt zum Thema des Films passt und ihm seine besondere und zeitlose Atmosphäre gibt. Das ist ein Film noir, eigentlich haben wir also nie an einen Farbfilm gedacht. Im Film spielen die Kontraste eine sehr wichtige Rolle, sie tragen zu der Ästhetik des Films bei. Ketel stellt den Schatten dar, er gehört zur dunklen Welt, während Louise, die Sicherheitsexpertin aus Amerika, das Licht, die Helligkeit verkörpert.

Im Film spricht Amanda Plummer (Pulp Fiction) auf Englisch. War die Sprache ein Hindernis für die Kommunikation zwischen den Schauspielern?

A.: Keineswegs! Die Schauspieler haben sich sehr gut verstanden und sind zwischen Englisch, Deutsch und der Sprache von Gestik und Mimik hin und her gewechselt. Alle waren sehr begeistert vom Projekt und haben sich mit vollem Herz engagiert. Als ich erfuhr, dass sich Amanda für die Rolle interessierte, war ich ganz gerührt. Das ist eine schöne Belohnung für unsere Arbeit. Während des Drehs haben wir uns kennengelernt, sie ist eine ganz offene und witzige Frau. Die Kommunikation war also überhaupt kein Problem, für niemanden.

Habt ihr ein neues Projekt?

L.: Ja, das wird im April oder Mai erscheinen… Mehr verrate ich nicht!

 

Fotos: dffb/schattenkante

Kinostart ist heute, am 22. August 2013. Alle Infos zum Film auf der Moviemento-Webseite oder bei Facebook.

In Zusammenarbeit mit

Das Interview auf Französisch findet ihr bei berlin Poche. Ins Deutsche übersetzt von Yasmine Salimi und Chloé Ribreau.

 

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