Wie gentrifiziert ist eine vegane Pizza?

Neue Leibspeisen_KartenFreunde des fleischlosen Genusses finden in Neukölln ein breites Angebot. Eine kulinarische Tour führt zu veganen Restaurants, Cafés und Läden und verspricht neue Leibspeisen.

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Donnerstag, 10. April 2014

Text & Bilder: Julia Lakämper

Wir versuchen, dem über die Gentrifizierung seines Stadtteils schimpfenden Pizzabäcker auf der Bank vor dem Sfizy Veg gedanklich zu folgen. Er behauptet, er möchte Gäste wie uns nicht, in der ersten veganen Pizzeria Europas, nein nein nein. Ich überlege kurz, ob ich ihm von dem Neukölln berichte, in das ich 1997 zog. Als bodenständige Nicht-Neu-Neuköllner fühlen wir uns aber eigentlich gar nicht angesprochen, schmunzeln nur kurz über diese Absurdität, und spazieren fröhlich hinein in die gute Stube. An den Wänden hängen kunstvolle Tierschutzparolen, wir finden in einer gemütlichen Ecke neben der Theke Platz. Er backt uns dann doch vegane Pizzen, und zwar köstliche.

Zunächst kommt ein giftgrüner Trunk aus der Küche, den wir als Mischung aus Banane, Ananas, Weizengras und Spinat identifizieren. Lecker! Der Smoothie könnte feiner und sämiger sein, das Sfizy Veg hat sich wohl noch keinen Hochleistungsmixer geleistet, aber die Zutaten beleben unsere Lebensgeister, und das Getränk ist geschmacklich ausgewogen. Ein guter Einstieg in die Welt der grünen Smoothies. Die “Bruschette ricca” mit Rucola sind delikat, für Sensible etwas pfeffrig vielleicht – uns kommt etwas Feuer im Essen am Freitag Abend ganz gelegen. Während wir noch die letzten Krumen der gerösteten Brote vernaschen, erreichen uns bereits kleine, handgeformte Pizzen mit grünem Pesto und Rucola aus dem Ofen – leider nur spärlich mit fruchtigen schwarzen Oliven belegt, und mit veganem Käse überbacken. Die Speisekarte weist darauf hin, dass der Pizzakäse auf Basis von Kartoffelstärke hergestellt und sojafrei ist. Der Teig zergeht auf der Zunge und ist knusprig zugleich, wirklich lecker. Spätestens an diesem Punkt bin ich schon pappsatt, aber es geht noch weiter mit dem kulinarischen Rundgang “Neue Leibspeisen – Vegan durch Berlin”, und in unserem Fall, durch Nord-Neukölln.

4 Frauen mit WEingläsern

Weinprobe im Balera

Vegane Weine und Sahne ohne Kuhmilch

Wir haben schon zwei Stationen hinter uns. Zu Beginn waren wir im Balera, einer kleinen, minimalistischen Weinhandlung direkt am Karl-Marx-Platz, am Treffpunkt unserer Tour. Hier werden direkt aus dem Fässern in der Wand italienische Weine ausgeschenkt – auch vegane, sowohl bio als auch konventiell. In charmantem italienischem Akzent erfahren wir, dass in der Weinherstellung Milch- und Eiprodukte zur Schönung eingesetzt werden, auf die bei veganen Weinen verzichtet wird. In der Gruppe wird der Prosecco und ein Bio-Rotwein getestet und für gut befunden.

Leicht beschwingt spaziert die Gruppe über den immer wieder schönen Richardplatz zum Vux, einem in der veganen Szene bereits fest etablierten Café. Das Interieur ist angenehm zurückhaltend und doch gemütlich mit viel weiß, und einer kunstvollen Bilderwand. Meine Pastinaken-Kartoffel-Suppe wird zügig, sogar noch vor den veganen Torten, mit fluffigem Kräuterbrot serviert. Eine Riesenportion, und köstlich obendrein. Meine Mitstreiter sind fasziniert von der veganen Kuchenpracht, und begeistert vom Teig – nur die pflanzliche Crème sei im Vergleich zur Kuhmilch-Sahne gewöhnungsbedürftig. Es ist gut gefüllt, im Schummerlicht schauen Touristen durch die Schnappschüsse des Tages, diskutieren Paare über die Wochenendplanung, und wir lernen uns kennen.

Verpackung sparen beim Einkauf

Auf den kurzen Wegen zwischen den veganen Oasen in Rixdorf berichten unsere Rudelführerinnen Nadja und Linn Details zum Stadteil und den einzelnen Stationen, die wir ansteuern. Bei Dr. Pogo riecht’s wie früher im Bioladen und es sieht auch so aus. Selbst gezimmerte Regale, Personal mit Dreadlocks und Piercings, Gäste mit Entenschuhen und Cordhosen: Alle Klischees werden hier bedient. Das Prinzip ist sehr lobenswert – kollektiv und vegan – und scheint zu funktionieren, das Geschäft ist gut gefüllt. Es gibt reichlich Auswahl, ein Paradies für Veganer und vegan-freundliche Menschen. Mein persönliches Highlight sind die Trockenwaren, die man in mitgebrachte Behälter selbst abfüllen und damit 20% zum Normalpreis reduziert erwerben kann. Kurz vor dem Hinausgehen entdecke ich noch Wirsingchips, die deutsche Antwort auf den Kale-Chip-Hype aus den USA. Die werde ich mir noch einmal genauer und mit etwas mehr Zeit unter die Lupe nehmen, und dabei meine Glascontainer mit Trockenwaren befüllen. Daumen hoch für Dr. Pogo!

Au ja, ich spende via: PayPal | Überweisung | Bankeinzug | Flattr

Die alten Scheunen am Richardplatz werden gerade in ein Filmset umgewandelt, als wir unsere bereits gut gefüllten vollen Bäuche und Errungenschaften aus dem Vegankollektiv Richtung Sonnenallee schieben. Den krönenden Abschluss der Tour begehen wir im Let it Be. Wie in allen der heute besuchten Etablissements ist es auch hier sehr charmant und gemütlich, es ist angenehm quirlig im Laden, ein schöner Mix aus tatowierten Rockabilly-Mädels und Trucker-Cap-Kapuzenpulli-Normalos. Ein Trupp Künstler samt Freunde reist gerade an, etwas später steht eine Lesung mit musikalischer Begleitung auf dem Programm. Wir bestellen eine Galette aus Buchweizen für uns alle, mit veganer Schokocreme. Der Kellner kümmert sich rührend um uns, und auch die Küche meint es gut. Etwas zu gut, denn die Galette ist prall gefüllt mit veganer Schokocreme und übertüncht sämtlichen Geschmack des Teiges. Ein echter Hit für Zucker-Junkies und Schokocreme-Fans; für alle anderen etwas übers Ziel hinaus geschossen. Aber nett gemeint und hübsch drapiert. Wir fachsimpeln noch eine Weile über Neukölln, Berlin und veganes Essen im Allgemeinen bei Tee und Cidre, und lassen die letzten Eindrücke auf uns wirken.

So beende ich den Rundgang im Zucker-Schock, mit Kugelbauch und selig lächelnd. Auf dem Nachhauseweg erinnere ich mich an die alten Zeiten, wie es war, als ich in die Hermannstraße 11 zog und „vegan“ und „Getrifizierung“ noch Fremdwörter waren, in Neukölln.

Die nächste Tour “Neue Leibspeisen – Vegan durch Berlin” von art:berlin findet am 16. April statt und kostet 39 EUR. Anmeldung und Infos hier.

Balera Weinhandlung
Karl-Marx-Platz 6

Di-Sa 13-20 Uhr
www.baleraweine.com

Café Vux
Wipperstr. 14
Mi-Sa 12-19 Uhr, So 12-18 Uhr
www.vux-berlin.com

Sfizy Veg
Treptower Str. 95
Mo-Fr 17-23 Uhr, Sa-So 15-23 Uhr
www.sfizyveg.de

Dr. Pogo
Karl-Marx-Platz 24
Mo, Di, Do, Fr 9-20 Uhr, Mi 12-20 Uhr, Sa 9-16 Uhr
www.veganladen-kollektiv.net

Let it Be
Treptower Str. 90
Mi-Fr 15-22 Uhr, Sa/So 13-22 Uhr
www.letitbevegan.de

 

Julia ist ganzheitliche Gesundheitsberaterin (Certified Holistic Health Coach) und stürzt sich gern in kulinarische Abenteuer. Dazu kann schon auch mal eine vegane Schokocreme-Buchweizen-Galette gehören. www.julia-lakaemper.com