Klischee auf Zwetschgendatschi

Zu Besuch bei Uli Hannemann: Der Autor von „Neukölln, mon amour“ und „Neulich in Neukölln“ über Feindbilder, Klischees und satirische Zielscheiben – nur die Freunde sind etwas zu kurz gekommen.

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Text:

Montag, 4. März 2013

Und die Freunde?“ Tja, die Freunde. Gute Frage. Das ganze Gespräch über Feindbilder, Klischees und satirische Zielscheiben und kein Wort über Freundschaft. Uli Hannemann sitzt entspannt im Wohnzimmer seiner Zweizimmerwohnung und schaut den Gast fragend an.

Auch sonst sieht er gerne zu, beobachtet seine Umgebung, aufmerksam und genau, und spinnt aus den besonderen Alltagsmomenten seine humorvoll überspitzten Geschichten, die das Leben spielt – so ähnlich zumindest. Geschichten über das Taxifahren, den überaus höflichen Drogendealer oder den Gemischtwarenladen, der zur Rechtfertigung seiner langen Öffnungszeiten ein paar verstaubte türkische Videofilme in einer dunklen Ecke stapelt: „Was willst du – ist Videothek!“

Vor seinem Arbeitstisch in der Ecke liegt ein zusammengefaltetes Handtuch auf dem Boden. Der Nachbar habe sich über das Klacken der Stuhlbeine auf den Dielen beschwert. Und auf der Sofalehne sitzt still und unscheinbar ein kleiner Freund: die Stofftierratte Hermann.

neukoellner.net: Was assoziierst du spontan mit Feinde und Neukölln?
Uli Hannemann: Buschkowsky.

Warum? Wie stehst du zu Buschkowsky?
Im Prinzip gar nicht grundsätzlich schlecht, aber seine Verallgemeinerungen gehen mir tierisch auf die Nerven, weil sie schon in Richtung Rassismus gehen.

Hast du sein Buch gelesen?
Nein, hab ich nicht. Das ist so ähnlich wie mit Sarrazin. Es ist schon klar, dass ein paar Sachen aus dem Zusammenhang gerissen wurden, aber die Sätze sind ja trotzdem so gefallen. Sie sind nicht dementiert. Ich finde schon, dass das für sich steht. Ich habe keine Lust das Buch zu lesen.

Berlin hat ja einen gewissen Hang zu Feindbildern. Neben Spaniern und Touristen stehen die Schwaben immer wieder hoch im Kurs. Hast du Neukölln-typische Feindbilder?
Nein, hab ich keine. Das geht mir auch ziemlich auf die Nerven, das Schwabengeschrei. Wenn du dir die Statistik anguckst, sind es eigentlich sehr wenig Schwaben. Im Grunde genommen handelt es sich um Leute, die von allen möglichen Gegenden zugezogen sind und sicherlich auch manchmal nerven: Die wollen ihre Ruhe haben, es werden Clubs geschlossen, es werden Leute verdrängt. Schwabe ist nur ein Synonym dafür. Und ganz davon abgesehen glaube ich, dass diejenigen, die sich am radikalsten beschweren, meistens Leute sind, die einfach nur schon länger da, aber auch keine waschechten Berliner sind. Das ist ein totaler Witz. So wie Thierse, der ist ja auch kein Berliner und kann noch nicht einmal Bayern und Schwaben unterscheiden: Das Wort „Pflaumendatschi“ zum Beispiel – das gibt es gar nicht. Wenn schon heißt es „Zwetschgendatschi“ und das ist kein schwäbisches, sondern ein bayerisches Wort.

Was denkst du, wenn du die „Berlin doesn’t love you“ Aufkleber siehst, die es ja hier im Kiez auch verstärkt gibt?
Was fällt mir dabei ein? Bürger kauft nicht beim Juden.

Ich würde aber mal behaupten, dass du selbst schon auch gerne pöbelst.
Ich mache mich lustig. Die Über-Klischeeisierung ist ein Stilmittel und das erkennbare Über-Klischee schützt die Objekte.

Du würdest also sagen, dass diese Überspitzung der Stereotype ein Mittel ist, um sie abzubauen?
Ich mach mich natürlich auch lustig über Details …spanische Touristen, die nicht Fahrradfahren können oder so. Dann wird mir hinterher in Leserbriefen Rassismus vorgeworfen. Da lach‘ ich doch drüber. Was geht in den Köpfen vor? Ich mach‘ mich auch über Hipster lustig, ich mach‘ mich über Mode lustig, ich mach‘ mich über neue Kneipennamen lustig. Ich bin aber auch keiner, der gerne ins Wesereck geht.

Nerven dich die Hipster manchmal? Was auch immer Hipster sein sollen…
…die gibt es ja angeblich nicht. Hipster wollen nicht Hipster sein…

…aber sozusagen die Szene, die gerade nach Neukölln schwappt?
Ne, nervt mich eigentlich noch nicht besonders. Ich sehe da schon die Gefahr, dass das die erste Welle ist. Dann kommen die Gutverdiener und dann geht die Verdrängung erst richtig los. Aber ich finde es gerade noch ganz erträglich und auch auf eine Art bunt. Ich muss auch nicht mit Kohleheizung leben und ständig nur graue Altersheimgesichter sehen.

Seit wann lebst du in Neukölln?
Seit 1992, in verschiedenen Wohnungen.

Inzwischen wohnst du in der Weserstraße, der Hauptausgehmeile Neuköllns. Ist das für deine Recherche dankbar?
Jein. Über das Thema hab‘ ich einerseits schon genug geschrieben. Andererseits versuche ich mich gerade an einem Roman, in dem es unter anderem schon darum geht. Da werde ich noch einmal richtig loslegen, aber dann suche ich mir neue Zielscheiben.

Du hast das Buch „Neulich im Taxi“ mit Geschichten aus deiner Zeit als Taxifahrer geschrieben. Fördert Taxifahren die Menschenkenntnis?
Es fördert zumindest die Angewohnheit, Menschen sehr schnell zu beurteilen und sehr schnell in Schubladen zu stecken.

Gibt es Neukölln-typische Fahrgäste?
Ich weiß nicht. Handwerker und Arbeiter, die es sich leisten können von der Kneipe nach Hause zu fahren, sind, obwohl ich 2007 aufgehört habe zu fahren, damals schon seltener geworden. Da merkst du dann auch den finanziellen Druck.

Als du angefangen hast über Neukölln zu schreiben, war es dir ein Anliegen, die schrulligen Eigenheiten des Bezirks darzustellen, im Kontrast zu den damals vorherrschenden medialen Klischees von Ghetto und Rütli-Schule?
Das war mir nicht so ein spezielles Anliegen. Ich trete seit zwölf Jahren bei Lesebühnen auf, das heißt, ich schreibe jede Woche mindestens zwei neue Texte. Das sind über 100 im Jahr und über 1.000 insgesamt. Die Themen häufen sich und die Bücher sind einfach Abfallprodukte von häufig behandelten Themen. Dadurch, dass ich am meisten über den Alltag und meine Umgebung schreibe, hat es sich einfach angeboten, über die Gegend, in der ich wohne, und über die Menschen dort zu schreiben.

Warum bist du damals eigentlich ausgerechnet nach Neukölln gezogen?
Es war einfach ein Innenstadtteil, den ich mir noch leisten konnte, wo die Infrastruktur passte und ich mich noch heute einigermaßen wohl fühle. Die einzige normale Alternative für mich wäre der Wedding gewesen und den mag ich nicht. Da hab ich mal gewohnt und der ist mir irgendwie zuwider.

Da haben wir doch ein Feindbild.
(Lacht.) Obwohl es sicher große Parallelen zwischen den Bezirken gibt.


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Der Artikel ist in unserer aktuellen Printausgabe erschienen. Ihr findet sie in Bars, Cafés, sozialen Einrichtungen, kulturellen Institutionen und Geschäften überall in Neukölln.