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Tour_2Maria und Hiba sind mitten in Neukölln aufgewachsen. Die beiden Jurastudentinnen führen durch die kulturelle und religiöse Vielfalt rund um den Richardplatz.

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Samstag, 28. Juni 2014

Hiba (25) und Maria (26) sind überrascht, mit so viel Interesse hatten sie nicht gerechnet. Sie führen alle Nicht-Neuköllner ein in den Stadtteil, der kaum unterschiedlicher beschrieben wird als ein anderer in Berlin. Von hipper Szenekiez bis No-Go-Area gehen die Meinungen auseinander. Über vierzig Interessierte sind zum Treffpunkt in der Passage gekommen, vor allem Nicht-Neuköllner sind darunter, Touristen aus Rheinland-Pfalz und Süddeutschland und sogar Deutsche, die in Dubai leben. Sie wollen das „neue“ Neukölln entdecken, so verspricht es das Programmheft. 41% der Neuköllner haben einen Migrationshintergrund, so wie die beiden Führerinnen auch. Hibas Eltern sind aus dem Libanon nach Berlin gekommen, Marias aus Pakistan.

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Die beiden Frauen haben die Führung selbst für den Verein Kulturbewegt e.V. entwickelt und die Stationen bewusst ausgewählt; sie sollen die religiöse Vielfalt rund um den Richardplatz widerspiegeln. Rixdorf, ein Ort, an dem Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen meistens friedlich neben- und miteinander leben, so wird Neukölln hier dargestellt. Die beiden angehenden Juristinnen sind über jedes Sarrazin-Klischee der angeblich bildungsfernen Muslima erhaben und stellen so dar, wie sie eben ihre Heimat wahrnehmen: Ein Bezirk, der sich ständig verändert und trotzdem für sie lebenswert geblieben ist.

Durch die Passage, geht es vorbei an einem Kulturzentrum, einer katholischen Privatschule, einer Baptistengemeinde, bis hin zum Gazi Osman Pasa Moscheeverein. Dort erklären sie beispielsweise worauf es im Islam ankommt und was Schiiten, Sunniten, Aleviten unterscheidet und trotzdem miteinander verbindet. Die Moschee sei weit mehr als ein Ort des Betens, sagt Maria und fährt fort: „Muslime treffen sich in der Moschee, trinken zusammen Tee, nicht nur im Ramadan, es ist ein sozialer Treffpunkt. Dabei besteht kein Zwang in die Moschee zu gehen. Wir können und dürfen überall beten“. Die Regeln des Islam seien nicht so streng, wie es oft dargestellt werde.

Horizonterweiternd für alle Nicht-Neuköllner

Sie erklären vieles, was Neuköllnern tagtäglich begegnet: Häusersanierungen, Akademikerzuzug, die Eröffnung einer Bioladenkette an der Sonnenallee, Veränderungen, die sich nicht nur positiv auf die Kieze auswirken. Diese positiven und negativen Beispiele dienen Maria und Hiba, um die Teilnehmer ihrer Führung unter Umständen da abzuholen, wo sie stehen: Bei ihren Vorurteilen. Für eingefleischte Neuköllner bietet die Führung nicht viel Neues. Aber für alle, die im Umkreis von mind. fünf Kilometern von Neukölln entfernt wohnen ist die Tour bereits horizonterweiternd und bereichernd, weil sie Vorurteile gegenüber Muslimen im Kiez sowie Gewalt und Kriminalität im Bezirk offen anspricht und ernst nimmt. Hiba und Maria sind für alle Fragen offen. An einigen Stationen kommt ein lebhafter Dialog mit den Besuchern in Gange. Beispielsweise darüber, ob es sinnvoll ist, dass die katholische Privatschule orthodoxe Christen, aber keine Juden oder Muslime als Schüler aufnimmt. Die Besucher erfahren, dass Menschen aus 147 Nationen in Neukölln leben.

Heute ist der erste Tag des Ramadan, die beiden jungen Frauen fasten seit ihrer Grundschulzeit und haben auch heute noch nichts gegessen. Diese Entscheidung fürs Fasten ist genauso freiwillig wie auch die gegen ein Kopftuch, erklären sie auf Nachfrage. In der Fastenzeit setze man sich intensiver mit seiner Religion auseinander als in den restlichen 11 Monaten des Jahres. Es gehe auch um Selbstbeherrschung und Konzentration auf das Wesentliche: „Wenn wir fasten, dann auch, um Essen und Trinken schätzen zu lernen. Im Alltag essen wir oft unbewusst, weil wir etwas essen können oder wir verschwenden Wasser beim Spülen oder Duschen. Der Ramadan soll uns daran erinnern, dass es nicht allen Menschen auf der Welt so gut geht und dass diese Dinge nicht selbstverständlich sind“, sagt Hiba.

In der Kannerstraße 8 endet die Erkundung des Richardkiezes vor einem großen Klingelschild direkt am Bürgersteig. Rund 40 Namen, die erahnen lassen, dass die Hausgemeinschaft ebenfalls so bunt gemischt ist wie der Stadtteil auch. „Erkundung im Paradies“ beschönigt nichts, bietet aber eine gute Gelegenheit für alle, die nicht schon hier wohnen, sich mit den Vorurteilen, die man vielleicht über Neukölln hat, auseinanderzusetzen. Paradies hin oder her, es lohnt sich!

Eine zweite Tour findet morgen statt: Erkundung im Paradies II mit Doha & Marianne, 29. Juni, 13h-14h30. Treffpunkt PAS-16 (Passage/Karl-Marx-Straße 133).

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