Keine „No-Go-Area“ für Juden

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Foto: Melisa Karakus

Armin Langer ist Jude und lebt in Berlin-Neukölln. Mit seiner Salaam Schalom Initiative versucht er, den Dialog zwischen Juden und Muslimen zu verbessern. (mehr …)

Mittwoch, 26. März 2014

„Herhören“, ruft Armin Langer, 23 Jahre alt und Rabbinerstudent am Abraham Geiger Kolleg in Berlin. „Es kann losgehen, wer hat etwas zu sagen?“ Er wedelt mit seinem Notizblock durch die Luft. In einer Altbauwohnung trifft sich an diesem Donnerstagabend die Salaam Schalom Initiative. Ein Dutzend junger Juden und Muslime will hier daran arbeiten, den jüdisch-muslimischen Dialog zu verbessern – vor allem in Berlin-Neukölln.

Der aus Ungarn stammende Langer hat die Initiative als Reaktion auf eine Aussage des Antisemitismus-Beauftragten der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Rabbiner Daniel Alter, gegründet. Dieser hatte im August 2013 in der Berliner Morgenpost gesagt, Teile der Bezirke Wedding und Neukölln seien aufgrund ihres hohen Anteils an arabisch- und türkischstämmigen Anwohnern für erkennbare Juden „No-Go-Areas“. Rabbiner Alter selbst und seine damals sechsjährige Tochter waren ein Jahr zuvor, im August 2012, im bürgerlichen Berlin-Friedenau am hellichten Tag Opfer einer antisemitischen Attacke geworden. Alter, der durch das Tragen seines Gebetkäppchens als Jude erkennbar gewesen war, wurde von vier mutmaßlich arabischstämmigen jungen Männern gefragt, ob er Jude sei. Als er bejahte, beleidigten und bedrohten sie ihn und seine Tochter und schlugen schließlich auf ihn ein. Die Täter brachen Rabbiner Alter das Jochbein und suchten das Weite. Bis heute sind sie nicht gefasst. Der Fall machte auch international Schlagzeilen.

Vorurteile abbauen durch Begegnung

Es ist Freitagmittag. Armin Langer sitzt vor dem Café Engels in Neukölln und schlürft einen Minztee. „Ich möchte mich gar nicht gegen Rabbiner Alter stellen“, sagt er. „Aber dass Neukölln eine No-Go-Area für Juden ist, das ist eine unglückliche Formulierung.“ Langer weiß, dass Antisemitismus unter arabisch- und türkischstämmigen Jugendlichen verbreitet ist; „du Jude“ gilt häufig als Beleidigung auf Schulhöfen. „Ja, es gibt Antisemitismus“, sagt Langer, „aber es gibt auch Hass und Feindschaft gegenüber Muslimen und anderen Gruppen. So ist das eben.“ Am Café Engels ziehen Passanten vorbei, die Türkisch und Englisch, Polnisch und Italienisch sprechen. Langer fühlt sich bestätigt. „Neukölln ist bunt und so mag ich es“, betont er. „Menschen bauen Vorurteile nur ab, wenn sie anderen Menschen begegnen. Wenn jeder in seinem Kiez bleibt, dann verändert sich auch nichts.“ Langer sagt, Neukölln sei nicht besser und nicht schlechter als andere Berliner Bezirke. Er ist ein überzeugter Neuköllner, ein Lokalpatriot, der zeigt, dass sich auch Juden in Neukölln zuhause fühlen.

Im Dezember stellte Langer kurze Clips bei YouTube hoch. Es ist der Beginn der Salaam Schalom Initiative. In den Videos erzählen Neuköllner Juden, wie gerne sie hier leben. Sie vergleichen den Bezirk mit der multiethnischen Josefstadt in Budapest oder mit dem orientalischen Gewusel in Israel. In der Jüdischen Gemeinde zu Berlin ist man nicht nur begeistert von den Aktionen des jungen Rabbinerstudenten aus Ungarn. Erst kürzlich sagte Daniel Alter gegenüber der Jüdischen Allgemeinen, dass er sich freuen würde, wenn die Salaam Schalom Initiative mit dem, was sie tue, recht hätte. Aber letztlich glaube er weiterhin, Neukölln sei gefährlich für Juden, die sich als solche zu erkennen geben würden. Dass seine Initiative von einigen als naiv angesehen wird, macht Langer nichts aus. Er ist trotz seines  jungen Alters erfahren in Sachen Aktivismus und Gegenwind gewohnt.

Gründungsmitglied der Knoblauchfront

In seiner Heimat Ungarn ist der Rabbinerstudent eines der Gründungsmitglieder der Knoblauchfront, einem ungarischen Ableger der Front Deutscher Äpfel. Wie auch seine deutschen Apfelfront-Kollegen zieht Langer gelegentlich in schwarzem Mantel mit schwarz-weiß-roter Binde durch die Straßen. Er führt damit satirisch überspitzt diejenigen vor, die ganz rechts außen stehen. Dass er jüdisch ist und dazu auch noch offen schwul, ist einigen Menschen in Ungarn ein Dorn im Auge: „Ich habe mir auch schon blöde Sprüche anhören müssen“, sagt der 23-Jährige, „aber ich glaube an das Gute im Menschen.“ Im April dieses Jahres tritt Langer für eine neue ungarische Linkspartei zu den Parlamentswahlen an. In seinem Wahlbezirk muss er sich u.a. gegen eine Jobbik-Kandidatin durchsetzen – die rechtsextreme und antisemitische Partei ist derzeit mit elf Prozent der Wählerstimmen im Parlament in Budapest vertreten.

Langer lässt seinen Minztee stehen, er legt eine Zwei-Euro-Münze neben das Glas und steht auf. Er hat einen Termin bei seinem Friseur und muss sich beeilen. Langers „Coiffeur“, wie er liebevoll sagt, stammt aus dem Libanon. „Gerade von Menschen aus dem Libanon könnte man erwarten, dass sie Vorurteile gegenüber Israel oder Juden im Allgemeinen haben“, sagt Langer. „Immerhin sind viele von ihnen vor Krieg in der Region geflohen. Mein Coiffeur zumindest hat keine Probleme mit uns.“ Armin Langer wird bereits erwartet. „Hallo mein Freund.“ Langers Coiffeur hat gerne jüdische Kundschaft, er sei schon immer wunderbar mit Juden ausgekommen, sagt er, im Libanon und auch in Berlin. Langer muss schmunzeln, etwas wohlwollend, etwas ungläubig, aber zufrieden.

Einladung in die Şehitlik-Moschee

Viele arabisch- und türkischstämmige Jugendliche in Neukölln haben noch nie einen Juden gesehen und viele Juden haben noch nie eine Moschee besucht. Die Anfrage des Vorstandes der Şehitlik- Moschee am Tempelhofer Feld am Rande Neuköllns kommt Langer da gerade recht. Das Vorstandsmitglied Ender Çetin wurde über die Clips auf YouTube auf die Salaam Schalom Initiative aufmerksam und kontaktierte Langer. Die Gruppe ist nun in die Şehitlik-Moschee eingeladen, um sich dort vor Gemeindemitgliedern vorzustellen. Langer möchte mehr Muslime für die Gruppe gewinnen und neue Clips produzieren, in denen muslimische Neuköllner zu Wort kommen.

Es ist 18.30 Uhr. Armin Langer wartet vor dem Gelände der Şehitlik-Moschee am Columbiadamm auf die anderen Mitglieder von Salaam Schalom. Es ist nasskalt, Autos rasen vorbei. „Ich bin aufgeregt“, sagt Langer. „Ich kann gar nicht sagen, wer davon weiß, dass wir hier sind oder wie viele Leute da sind.“ Langsam trudeln die anderen ein. Sieben Mitglieder von Salaam Schalom haben sich vor der Moschee eingefunden, alle wirken etwas verloren. Man hört Gebete aus der Moschee, niemand traut sich, die Tür aufzumachen. Dann kommt das Vorstandsmitglied Ender Çetin um die Ecke. „Hallo Armin, ja es dauert heute etwas länger, aber ihr könnt gleich reingehen“, sagt er. „Am besten, ihr stellt euch nach dem Ende des Koranunterrichts vor.“Der Moscheeraum ist gut gefüllt. Links sitzen die Männer, rechts fast alle Frauen, in der Mitte, direkt an der Trennwand, die Mitglieder von Salaam Schalom. Kaum jemand scheint darüber informiert worden zu sein, dass es heute Besuch gibt. Vorne wird zu Koransuren referiert. Die Stimmung ist offen und freundlich. Dann, nach ungefähr zwei Stunden, stellt Ender Çetin die „jüdischen Neuköllner“ vor.

Sonnenallee alias „Gazastreifen“

Es gebe da einen Rabbiner, der habe gesagt, Neukölln sei eine No-Go-Area für Juden. Ender Çetin zeigt sich betroffen. Er kennt Rabbiner Alter aus der interreligiösen Arbeit. Er mag ihn, aber dass er von No-Go-Areas gesprochen hat, gefällt ihm nicht. „Unsere Freunde hier haben eine etwas andere Meinung“, sagt Çetin. „Klar, es gibt Probleme, wir nennen ja selbst die Sonnenallee manchmal Gazastreifen.“ Alle lachen auf. Ender Çetin wird wieder ernst. „Aber das ist wichtig, am besten wir lassen Armin selbst erzählen.“ Langer kommt nach vorne. Die Zuhörer sind neugierig. Immerhin wusste kaum jemand, dass heute einige Juden anwesend sein werden. „Vielen Dank für die Gastfreundschaft, es ist schön, hier zu sein.“ Langer erzählt von Salaam Schalom, von seinen Clips auf YouTube, davon, dass viele Juden in Neukölln leben und dass er möchte, dass Juden und Muslime aufeinander zugehen. Er möchte Gemeindemitglieder für eine neue Reihe von Clips gewinnen und hofft, dass man sich auch in der Şehitlik-Moschee für Salaam Schalom begeistern werde.

Nach zehn Minuten ist die Vorstellung vorbei. Die meisten Gemeindemitglieder verlassen schnell den Moscheeraum. Aber einige bleiben und kommen auf Armin und seine Mitstreiter zu. Sie wollen mitmachen, sich engagieren, einander kennenlernen. Langer ist glücklich. „Zwar sind nicht alle geblieben“, sagt er, „aber das ist doch ein guter Anfang, dass wir uns hier kennenlernen können.“ Für Armin Langer beginnt die Arbeit mit Salaam Schalom jetzt erst richtig.

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Kommentare:

  • Martin sagt:

    „Rabbiner Alter selbst und seine damals sechsjährige Tochter waren ein Jahr zuvor, im August 2012, im bürgerlichen Berlin-Friedenau am hellichten Tag Opfer einer antisemitischen Attacke geworden.“
    Richtigstellung:
    Herr Alter wurde nicht im Ortsteil Friedenau, sondern im Ortsteil Schöneberg (Beckerstraße) angegriffen. Das macht es sicher nicht besser, aber ständig diese Anspielung auf das „bürgerliche Friedenau“ geht mir auf den Keks. Einfach mal den Kaupert aufschlagen und nicht immer der Boulevard-Presse Glauben schenken.

  • Björn sagt:

    Schön, dass man sich darüber echauffieren kann, dass nicht nur die Boulevardpresse die Beckerstraße fälschlicherweise in Friedenau verortet.

    Vielleicht sollte man sich eher darüber ärgern, dass Herr Alter Opfer eines antisemitischen Angriffs wurde.

  • Anna sagt:

    Martin, wenn man die Beckerstraße googelt, wird mir auch der Stadtteil Friedenau angezeigt, ebenso der Stadtteil Schönau. Frag doch nochmal genau nach welche Hausnummer, damit wir uns auch ganz sicher sein können, in welchem Stadtteil es passiert ist.

    Oh man, ernsthaft!

  • Martin sagt:

    Den Übergriff bedauere ich ebenfalls, aber der Vergleich hinkt doch: Was im bürgerlichen Friedenau nicht möglich ist, funktioniert Neukölln und im Wedding oder wie!? Schöneberg ist weiten Teilen, was seine Strukturen angeht, durchaus mit Neukölln und Wedding vergleichbar.

    Anna, da sieht man mal wieder, dass Google nicht immer die Wahrheit spricht. Und spare Dir doch Deinen Sarkasmus, es ist die gesamte Beckerstraße!