Ein Schnitt fürs Leben

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Die Neuköllner Rapperin Sister Fa macht sich stark gegen die Beschneidung von Frauen. Foto: Piranha / Michael Mann

Genitalbeschneidung an Frauen ist auch in Neukölln ein Thema. Aufklärung und Prävention kann nur gelingen, wenn auch darüber gesprochen wird. Doch noch gilt es viele Hürden zu überwinden. (mehr …)

Montag, 17. Februar 2014

Es fängt schon bei der Wortwahl an. „Betroffenen gegenüber sollte man besser nicht von Genitalverstümmelung sprechen, sondern von Beschneidung“, sagt Sylvia Edler, die Gleichstellungsbeauftragte des Bezirks Neukölln. Sie hat ins Neuköllner Rathaus geladen, zu einer Fachtagung mit dem Titel „Genitalverstümmelung. Verfolgt ein Leben lang. Eine globale, eine deutsche, eine Neuköllner Thematik?“. Gekommen sind viele Frauen und Männer, die mit dem Thema beruflich zu tun haben, etwa als Sozialarbeiter oder Mitarbeiter des Jugendamtes. Aber auch einige Schülerinnen des Albert-Schweitzer-Gymnasiums, die sich im Rahmen des Unterrichts mit dem Thema beschäftigen. Für viele Frauen aus Afrika und Asien ist die Beschneidung ein Ritual, das Teil ihrer Kultur ist – auch wenn sie davon ihr Leben lang körperliche und seelische Schäden davontragen. Im Laufe der Fachtagung wird klar werden, dass es nicht so einfach ist, das Vorgehen als „böse“ zu verurteilen, es zu verbieten und damit aus Deutschland zu verbannen.

Beschneidung als Zeichen der Reinheit

Katharina Kunze von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes gibt eine theoretische Einleitung in das Thema: Laut Weltgesundheitsorganisation umfasst der Eingriff die teilweise oder vollständige Entfernung der weiblichen Genitalien ohne medizinischen Grund. Oft wird die Beschneidung an Minderjährigen durchgeführt, bei zum Teil schlechten medizinischen Bedingungen. Das Ritual wird meist mit Tradition oder religiösen Vorschriften begründet. Ziel ist es, eine körperliche und spirituelle Reinheit der Frau zu erreichen. Sie soll den Vorstellungen des Mannes angepasst und auf ihre Rolle als gehorsame Ehefrau und Mutter vorbereitet werden. Verbreitet ist die Annahme, dass die Klitoris ein Überbleibsel des Penisses ist: Der Mann könnte durch ihren Anblick impotent werden, ein männliches Kind könnte bei der Geburt sterben. Die Beschneidung soll sicherstellen, dass die Mädchen bis zur Hochzeit jungfräulich bleiben. Für beschnittene Frauen wird deshalb ein höherer Brautpreis bezahlt.

Die Folgen der Operation sind schrecklich: Manche Betroffene leiden lebenslang unter Schmerzen, sind inkontinent und eine Schwangerschaft stellt für sie ein hohes Risiko dar. Sie erleiden durch den Eingriff Angstzustände und andere psychische Schäden. Erschreckend sind auch die Zahlen: Weltweit sind ungefähr 140 Millionen Frauen und Mädchen beschnitten. Terre des Femmes schätzt, dass allein in Deutschland 25.000 beschnittene Frauen leben und weitere 2.500 Mädchen davon gefährdet sind.

„Wir haben ein Kommunikationsproblem“

Hört man die Zahlen und Fakten, mag man sich nur eine Frage stellen: Wie kann es sein, dass die Beschneidung heute noch praktiziert wird? Darüber kann eine Betroffene aufklären. Fatou Mandiang Diatta wurde als Kind im Senegal beschnitten. Die 31-jährige Rapperin, genannt Sister Fa, thematisiert das in ihren Texten, macht sich in Deutschland und in Afrika stark gegen Genitalverstümmerlung. „Als Kind dachte ich nicht, dass das etwas Schlechtes ist“, sagt sie, „ich dachte, ich würde dadurch zur Frau werden.“ Sie erlebte, wie zwei Babys aus ihrem Dorf nach dem Eingriff starben. Etwas war schief gelaufen, aber ins Krankenhaus wollte man die Kinder nicht bringen, aus Angst vor Konsequenzen. „Das war ein ganz großes großes Geheimnis in meinem Dorf“, erinnert sie sich. Über Beschneidung zu sprechen war ein Tabu, mit dem sie später als Musikerin brechen wollte. „Dass Genitalverstümmelung heute, im Jahr 2014, noch praktiziert wird, liegt daran, dass wir ein Kommunikationsproblem haben“, stellt Diatta fest.

Wie viele beschnittene Frauen genau in Neukölln leben, ist nicht bekannt. Christiane Otto, eine der Rednerinnen an diesem Nachmittag, ist Teamleiterin des Jugendamts Neukölln und in ihrer Laufbahn noch nicht mit vielen Fällen von Beschneidung in Kontakt gekommen. Sie findet trotzdem, dass die Mitarbeiter des Jugendschutzes in dieser Hinsicht besser geschult werden müssen. Betroffene Mädchen aus der Familie zu nehmen, hält Otto allerdings für keine gute Idee. „Eine solche Maßnahme würde unter Umständen noch größeren Schaden bei den Kindern anrichten. Sie könnten denken, dass sie etwas falsch gemacht haben“, sagt die Pädagogin.

Die Wurzel des Problems

In Deutschland über Genitalbeschneidung aufzuklären ist wichtig, doch ebenso darf nicht vergessen werden, dass die Praktik in Afrika und Asien immer noch weit verbreitet ist. „Dort liegt die Wurzel des Problems“, sagt Fatou Mandiang Diatta. Sie reist regelmäßig nach Afrika, um Kinder und Familien aufzuklären, und hat dafür das Projekt „Eudcation Sans Excision“ gegründet. Einen Einblick in ihre Arbeit gibt der Dokumentarfilm „Sarabah“.

SARABAH Trailer from Maria Luisa Gambale on Vimeo.

Kommentare:

  • Donner sagt:

    Und was ist mit Genitalverstümmlungen an Jungen??? Das wird in Deutschland mal wieder einfach so toleriert!!! [Kommentar gekürzt: bitte bleiben Sie sachlich!]