Zweiraumwohnung ohne Bettwanzen

Besucher am Tag der offenen Tür in der Unterkunft für Flüchtlinge in der Haarlemer Straße in Berlin Neukölln (Foto: Emmanuele Contini)
Raus aus der Notunterkunft im ehemaligen C&A-Gebäude: 90 Frauen und Männer und 47 Kinder ziehen nun in die Gemeinschaftsunterkunft in der Haarlemer Straße. Bewohner, die zuvor noch mit Bettwanzen leben mussten, erhalten nun Appartements mit Balkon. Wir haben uns die Räume angeschaut.
Text: Elisa Heidenreich, Fotos: Emmanuele Contini
Bunte Luftballons hängen an einem Drahtzaun. Hinter den Luftballons im Schlamm stehen Baumaschinen, weiter hinten die zweigeschossige neue modulare Unterkunft, die der Nachbarschaft vorgestellt wird.
200-300 Anwohner waren der Einladung des Bezirks gefolgt und ließen sich über die farbenfrohe Anlage und durch die Wohnungen führen. Die Anlage erinnert städtebaulich an die Hufeisensiedlung nebenan, da die Wohnhäuser in gleicher Form um einen Flachbau, das Gemeinschaftshaus, angeordnet sind. Die Stahlskelettbauweise mit „Sandwichelementen“ erlaubt Balkone und gilt unterdessen als günstiger als Container, so Alexander Haeder von der Firma Home Center Management, die das Bauprojekt entwickelt und umgesetzt haben.
Informationen über ehrenamtliches Engagement und Nachbarschaftsprojekte erhielten die Besucher zudem vom Betreiber, der zur Diakonie gehörenden Stephanus-Stifung. Diese Stiftung möchte mithilfe von Ehrenamtlichen erreichen, dass sich die Bewohner wohl fühlen und gut im Kiez integrieren können.

Besucher am Tag der offenen Tür in der Unterkunft für Flüchtlinge in der Haarlemer Straße in Berlin Neukölln.
Mehr Privatsphäre und Verantwortung
Denn im ehemaligen C&A-Gebäude an der Karl-Marx-Straße gibt es Bettwanzen. Die Familien, die dort mitunter seit über zwei Jahren ausharren, ziehen ab 5. Februar um. Sie erwartet eine neueröffnete Unterkunft in der Neuen Späthstraße. Dort werden sie eine eigene Wohnung vorfinden, mit Küche, Bad und einem geräumigen Balkon. 175 solcher Appartements sind in modularer Bauweise entstanden. Sie sind zwischen 40 und 60m2 groß. Zum Wohlfühlen dürfte beitragen, dass die zukünftigen Bewohner einen eigenen Schlüssel und somit den Zugang zu Privatsphäre erhalten. Darüber hinaus haben sie nun die Möglichkeit, den Wohnraum nach ihrem Geschmack zu gestalten, Freunde einzuladen und Möbel anzuschaffen. „Integration durch Normalität“, beschreibt Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) das Konzept.
Die jetzigen Bedingungen, unter denen Familien in der Karl-Marx-Straße untergebracht sind, sind schockierend und den Ansprechpartnern sichtlich unangenehm.
„Ungezieferproblem“ heißt es zunächst von Seiten der Bezirksbürgermeisterin am Tag der Offenen Tür am Samstag, dem 27. Januar. Die Senatorin Elke Breitenbach, Giffey und Claudia Langeheine ,die Vertreterin des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LaF, früher LaGeSo), schauen sich betreten an, bevor Giffey schließlich konkret das Problem benennt. Wer von C&A kommt, muss seine Kleidung usw. in eine spezielle 60°C-heiße Hitzekammer geben, damit die Bettwanzen sich nicht in der neuen Unterkunft einnisten, erläutert sie. Dadurch wird der Umzug der 140 betroffenen Menschen verlangsamt und nimmt etwa zwei Wochen in Anspruch. „Familien, die bei C&A durchgehalten haben, sollen eine adäquate Unterkunft erhalten“.
Unterkunft bei Geflüchteten jetzt schon gefragt
Im März 2014 war die bestehende Unterkunft eröffnet worden. Zu Wort kam auch ihre Leiterin, Frau Schulz, die knapp 30 Jahre Erfahrung in der Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen hat. Sie berichtet, dass es bisher keine Probleme mit der Nachbarschaft gegeben habe. Geflüchtete Menschen aus anderen Bezirken riefen sogar bei ihr an und wünschen sich, in die neue Unterkunft ziehen zu dürfen. Der Leiter des Sicherheitsdienstes pflichtet ihr bei. Es handelt sich um einen Vertreter derselben Firma, die die wegen angeblicherBeihilfe zur Prostitution Ende Oktober 2017 in Verruf geratenen war.

Etwa 200 bis 300 Personen besuchten die Unterkunft, die Ende Dezember 2017 fertig gestellt wurde und 175 Wohneinheiten zwischen 40-60 Quadratmeter mit jeweils 3-5 Betten umfasst.
Bis zu 600 Bewohner werden in den kommenden Wochen dort einziehen. Viele davon wohnten bisher in den bereits vorhandenen Gebäuden, die aufgrund eines Wasserschadens saniert werden müssen. Ist dies abgeschlossen, werden etwa 1000 Menschen in unmittelbarer Nähe der A113 und des Parks am Buschkrug untergebracht sein. Ob der ÖPNV dies auffangen kann? Dies sei ein Luxusproblem so die Bezirksbürgermeisterin. Ein Fotograf wirft ein, dass der Bus 170 jetzt schon unzuverlässig und relativ voll sei. Man werde abwarten und im Zweifelsfalle mit der BVG das Gespräch suchen.
Die neuen Bewohner sind auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen. Ihre Kinder bleiben in ihren jetzigen Schulen und Kindergärten, um nicht aus ihrem neuen Umfeld gerissen zu werden. Sie müssen, wie andere Kinder auch, betont Giffey, einige Stationen mit der U-Bahn fahren oder von ihren Eltern gebracht werden. Die Eltern müssen zur Arbeit oder zum Deutschkurs fahren.
Offen für Ideen aus der Nachbarschaft
Zwischen den Häusern gibt es ein Gebäude mit Gemeinschaftsräumen, in denen Ehrenamtliche aktiv sein werden. Julia Morais von der Stephanus-Stiftung, die diese Unterkunft betreibt, denkt dabei an Hausaufgabenhilfe oder Deutschkurse für diejenigen, die noch keinen regulären Integrationskurs besuchen können. Eine Umfrage unter Bewohnern und Anwohnern soll zunächst abklären, welche Angebote tatsächlich gebraucht werden und welche eventuell überflüssig sind, so dass Gelder und Ehrenamtliche effektiv eingesetzt werden können. Im Zuge dessen ist eine sogenannte Sozialraumanalyse im Kiez geplant, die die Bedarfe der Nachbarschaft ermitteln soll. In diesem Zusammenhang steht das Projekt „Berlin entwickelt neue Nachbarschaften“ (BENN) des Senats, das seit April 2017 existiert und sich der Umsetzung von Ideen aus der Nachbarschaft von Flüchtlingsunterkünften widmet.
Ende vergangener Woche konnten bei Sonnenschein die ersten neuen Bewohner auf ihren Balkonen gesichtet werden. Vor den Häusern gibt es einen Spielplatz und auch Sportstätten wird es im Sommer geben. Wegen der Witterung können diese erst nach Bezug fertig gestellt werden. Genau genommen handelt es sich bei dem Grundstück um ein Gewerbegebiet, das eine anderweitige Nutzung nur auf zehn Jahre befristet zulässt.
Keinen Kilometer vom Areal entfernt in Treptow an der Späthstraße entstehen aktuell ebenfalls Wohnungen für Geflüchtete. Ein weiterer Neubau in Neukölln ist 2018 in der Kiefholzstraße geplant. Aktuell leben in Berlin noch etwa 3.000 Menschen in Notunterkünften.
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