Integration durch Normalität

Vergangene Woche fand im Estrel Congress Center die dritte Jobbörse für Geflüchtete und Migranten statt. Wir waren vor Ort und haben die Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey auf ihrem Rundgang über die Messe begleitet. Dabei haben wir spannende Projekte entdeckt und Geflüchtete getroffen, die den Einstieg ins Berufsleben bereits geschafft haben. Enttäuschte gab es dennoch.

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Freitag, 2. März 2018

Fotos: Emmanuele Contini

Ein früher Februarmorgen. Die ersten Journalisten sind in Stellung und warten in der Messehalle des Estrel-Hotels auf das Erscheinen der Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey. Im größten Show-Hotel Deutschlands findet zum dritten Mal die größte Jobbörse Europas für Geflüchtete und Migranten statt. Überhaupt scheint man hier mit Zahlen klotzen zu wollen: Mehr als 200 Aussteller bieten mehr als 3.000 offene Stellen an. Insgesamt werden 3.800 Besucher erwartet. Eine Rechnung, die aufzugehen scheint. Wenn doch nur alles so einfach wäre.

Alsbald beginnt ein kleines Showcase auf einer Bühne am Rande der Messehalle: “Wir wollen in Neukölln Integration durch Normalität. Wir wollen, dass Menschen ihre Kinder ganz normal zur Schule schicken, dass sie in normalen Wohnungen leben und eine ganz normale Arbeit haben und Teil unserer Gesellschaft werden. Ein normales Leben von Menschen, die in einer interkulturellen Großstadt leben, dass muss das Ziel sein”, wünscht sich Franziska Giffey. Besonders stolz ist sie darauf, dass ihre Kolleginnen aus dem Bezirksamt mit einem eigenen Stand vor Ort sind. Mit dem Slogan NKN&DU! Beweg was – in Neukölln werden mit YouTube-Videos Nachwuchskräfte in fünf Ausbildungsberufen und vier dualen Bachelorstudiengängen gesucht. Kleiner Wermutstropfen: Die Bewerbungsfrist für 2018 ist längst abgelaufen.

Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (Mitte) besucht den Stand des Bezirksamtes Neukölln.


„Wir können niemanden zurücklassen“

Giffey, Raimund Becker, einer der Vorstände der Bundesagentur für Arbeit, und Alexander Fischer, Staatssekretär für Integration, Arbeit und Soziales gehen gemeinsam mit um sie schwärmenden Pressevertretern auf ihren Rundgang. Sie loben die Unternehmen, geben Interviews und schütteln Hände. In der Mitte der Halle hat sich die Bundesagentur für Arbeit als Mitveranstalter den größten Stand gesichert. Fischer sagt zur Jobbörse: “Es ist diese besondere Berliner Mischung, die es uns erlaubt so viele Menschen in unser Leben zu holen und zu integrieren. Ich wünsche mir in Zukunft, dass bei künftigen Veranstaltungen mehr öffentliche Arbeitgeber solche Möglichkeiten nutzen, denn auch wir haben ein Nachwuchsproblem. Wir brauchen jeden und können niemanden zurücklassen. Die Vernetzung und das Reden miteinander, das Kennenlernen ist immer noch der zentrale Punkt an dem Integration passiert.”

So wunderbar und zukunftsträchtig alles in den Reden der Vorstände und Politiker wirkt, so durchmischt sind die Meinungen an den Ständen. Herr Neumann von der ABBV GmbH ist enttäuscht von den Berliner Jobcentern. Er erzählt, wie er sich vor einiger Zeit selbstständig um über 500 Arbeitnehmer für Logistik-Unternehmen bemüht hatte. Diese hätten, nach seiner Aussage, ihren Führerschein an seiner Akademie für Bildung, Beruf und Verkehr machen und ein A2-Sprachniveau nachweisen müssen. Diese Voraussetzungen habe er mit großen Transportunternehmen so abgemacht. Auf seine Anfragen bei verschiedenen Jobcentern, erhielt er jedoch Absage auf Absage. Hierfür sei kein Geld da, so die Begründung, obwohl es bereits Einstellungszusagen von Seiten der Unternehmen für einzelne Geflüchtete gegeben hatte.

Arian (links) von Station 42 (Kardiologie) und Subair von Station 97 (Dermatologie) freuen sich auf den Tag.


Pilotprojekt von Charité und Vivantes

Arian und Subair, die Jungs am Stand des Vivantes Klinikums sind bester Stimmung. Beide sind Auszubildende im ersten Lehrjahr und haben vorher die Einsteigerprogramme des Pilotprojekts von Charité, Vivantes und des IQ Landesnetzwerks besucht. Arian sagt: “Wir bieten hier eine Vorbereitung für die Ausbildung von Flüchtlingen an. Die nennt sich SpraBo-Kurs (Sprachkompetenz und Berufsorientierung für Geflüchtete) und dauert sechs Monate. Der Kurs enthält Sprachunterricht und praktisches Arbeiten. Wir erwarten viele Flüchtlinge, die noch Probleme mit der Sprache haben, um ihnen so zu helfen. Es geht darum eine gute Zukunft zu haben. “Die Ausbildung macht wirklich Spaß. Am liebsten mag ich es Latein zu lernen. Nur das frühe Aufstehen um 4 Uhr nervt. Aber grundsätzlich fühle mich einfach wohl damit, Leuten zu helfen.”

Auch Alexander und seine Verwandte Tirhas mit ihrem Sohn finden, dass alles sehr gut auf der Messe organisiert sei: “Es ist leicht hier einen Beruf zu suchen, wenn man alle direkt ansprechen und alles fragen kann.” Alexander hat ganz klare Vorstellungen: “Ich möchte eine Ausbildung als Anlagemechaniker machen. Das ist mein Traumberuf.” Immerhin ist er schon zwei Jahre und sechs Monate in Berlin und will nun endlich loslegen.

„Ich finde, alles ist sehr gut organisiert hier, ganz anders als in meiner Heimat Eritrea”, sagt Alexander (Mitte).


Ohne Zeugnisse keine Chance

Abdulsattar (Abi) von der Refugee Academy ist 28, eigentlich BWL-Student und bringt ein Kern-Problem auf den Punkt: “Viele sind hierher geflohen, haben aber keine Zeugnisse mitgebracht. Ich bin jetzt 28 Jahre alt, habe schon studiert und Abschlüsse, muss aber im Prinzip von vorne beginnen. Ohne mein Abitur noch einmal nachzumachen habe ich keine Chance.“ Er habe hier schon viel Erfahrung gesammelt im Büromanagement und in kaufmännischen Berufen. Er hat drei Monate Praktikum bei der Berliner Sparkasse gemacht und arbeitet zudem ehrenamtlich bei verschiedenen Flüchtlingsorganisationen. Abi versteht sehr gut, dass man ihn nicht ohne Papiere an der Uni akzeptieren kann. „Dann müsste man das ja auch bei allen anderen machen”, sagt er. Aber er ist auch enttäuscht. Der Mitarbeiter vom Jobcenter bietet ihm nur ein Praktikum in der Altenpflege an. An einem Stand auf der Messe wollten sie sogar muttersprachliches Niveau von ihm. Verständlicherweise fragt er sich, warum die dann auf der Jobbörse für Geflüchtete auftreten.

In der Start-up-Area kommen wir mit Roberta von Solidarity Drinks ins Gespräch. Verschiedene kleine Firmen wie Selo Coffee, Einhorn, Devugees und Share Foods haben sich zusammengeschlossen und ein kleines, begehbares Wohnzimmer mitten im Messetrubel aufgebaut. Die Couch, die Paletten und ein großer, runder Tisch gehen deutlich weg von der frontalen Personalakquise und laden zum entspannten Austausch ein. Die Politiker testen unterdessen aus kleinen Plastikschnapsgläsern die Getränke.

“Unsere Profite werden an Initiativen für Geflüchtete weitergegeben. 15 Cent pro Liter gehen mindestens an die Projekte, was etwa ein Drittel des Preises ist“, sagt Roberta von Solidarität Drinks.


Mit Solidrinks Flüchtlingen helfen

Mit Soli-Mate und Soli-Cola haben Roberta und ihre Teammitglieder einen Weg gefunden, Geld für soziale Projekte zu sammeln und über die Flaschen ihre Botschaften gegen Rassismus und Diskriminierung nach außen zu tragen. “Alles begann mit Hussein, der geflüchtet war und in meiner WG wohnte. Er brauchte so viel Hilfe von uns Mitbewohnern, aber ich hatte nie viel Zeit. Viel Hilfe kam aber auch über kleine, unbekannte Vereine. So kam uns 2015 die Idee zu Solidrinks”, erzählt Roberta. “Die Geschichte mit der Flüchtlingswelle hat uns dann eingeholt. Plötzlich war das Thema extrem präsent und wir mussten darüber nicht mehr viel aufklären.”

Auf die Frage hin, welche Chancen sie für Geflüchtete bei den Start-ups sehe, sagt sie: “Wir möchten perspektivisch noch mehr mit Geflüchteten arbeiten und planen eine Art Jobsharing, wo Einheimische und Geflüchtete sich einen Arbeitsplatz teilen. Das haben wir auch letztes Jahr schon getestet. Weil wir aber fast alle noch ehrenamtlich arbeiten, können wir leider noch keine direkten Arbeitsplätze vergeben.”