„In der Scheiße liegen und nicht stinken“

Passend? Buchauslage von "in den Gangs von Neukölln" - direkt neben "Arztroman".

Passend? Buchauslage von „in den Gangs von Neukölln“ – direkt neben „Arztroman“.

Der Journalist Christian Stahl hat mit „In den Gangs von Neukölln“ eine Fortsetzung der Lebenschronik von Yehya E. geschrieben. Damit möchte er Buschkowskys Thesen rund um den Integrationsunwillen von Migranten und Migrantenkindern widerlegen. (mehr …)

Donnerstag, 23. Oktober 2014

Wenn Christian Stahl das nächste Mal bei Dussmann vorbeischaut, wird er feststellen, dass sie seinem Wunsch hier nicht folgen. Dort liegt sein „In den Gangs von Neukölln“ neben einem Buch namens „Arztroman“ und nicht Seite an Seite mit Buschkowskys neuem Werk. Genau dort wäre aber der ideale Platz für seinen „Anti-Buschkowsky“, erfahren die Zuhörer von Stahl bei seiner Lesung in der Tucholsky-Buchhandlung in Mitte. Sein Werk soll als Beifang des erwarteten Kassenschlagers über die Theke gehen. Den reißerischen Titel hat er gewählt, um auch Buschkowsky- Affine zu erreichen, die Bestätigung für ihr Dogma vom integrationsunwilligen Ausländer suchen – Eine Art Tarnkappen-Marketing also. Ob das funktioniert, sei dahingestellt.

Unbequeme Analyse

Tatsächlich ist Stahls Chronik des kriminellen Yehya E. („Jachia“ gesprochen), eines jungen Deutschen mit Migrationshintergrund, eine Gegenrede zu Buschkowsky. Der sieht Integration in Deutschland scheitern, weil das Land im „Laissez-faire-Modus“ fährt. Lasches Handeln versus widerborstige Fremdkulturen sei der Kern des Übels. Stahl liefert eine unbequemere Analyse der Misere: Der Integrationswille der Neuen ist da, wird aber von einer tumben Bürokratie konsequent niedergemacht. Bei Neuköllns Bürgermeister, der sich seine Meriten im Bürokratie-Moloch der Hauptstadt verdient hat, kommt dieser Aspekt nicht vor. Im Gegensatz zu dem Politiker und bekennenden Populisten ist Buchautor Stahl einer vom Typ Hans Dampf mit einem Händchen zur Vermarktung. Der gelernte Journalist Stahl (Jahrgang ’70) betreibt seit 2005 die Berliner Medienagentur stahlmedien und erhielt für sein Onlineprojekt „little berlin“ den Grimme Online-Award. Daneben trat er auch als Co-Autor des Polit-Thrillers „Das falsche Rot der Rose“ in Erscheinung. Und in seinem Dokufilm „Gangsterläufer“ porträtierte er 2011 erstmals Yehya E. Nun schreibt er mit „In den Gangs von Neukölln“ dessen Geschichte fort.

Kafkaeske Anekdoten

Zum Plot: Der junge E. ist clever, ein guter Schüler und einmal sogar Berliner Boxmeister. Zu Bundeskämpfen darf er aber nicht, wegen der Residenzpflicht als Asylbewerber und arbeiten ist auch nicht drin, da er nur geduldet ist. Anfang der 90er flieht die Familie im Golfkrieg aus Kuwait, wo der Vater ein Baugeschäft zurücklassen muss und strandet im Libanon. Im Flüchtlingslager Schatila wird Yehya geboren. Schließlich Deutschland. Dort führt der Vater ein Leben im Leerlauf wie auch sein Sohn. Nur geduldet, ohne Arbeitserlaubnis. Der Vater passt sich an, sein ambitionierter Sohn nicht, sondern pusht seine brachliegenden Talente in eine kriminelle Karriere. Yehya bekommt einen eigenen Staatsanwalt. Er landet im Jugendknast.

Behörde warnte Schulleitung

Später kämpft er um Annäherung an die bürgerliche Gesellschaft. Yehya wird Konfliktschlichter in Neukölln. Im Auf und Ab dazwischen kafkaeske Anekdoten wie diese: Die Ausländerbehörde Berlin will ihn wegen seiner kriminellen Taten in die Ukraine abschieben, auf der Basis eines dubiosen Rücknahmeabkommens zwischen der Ukraine und der EU. Als vor Gericht ein Deal zustande kommt – wenn Abitur, dann keine Abschiebung – scheint es voran zu gehen. Doch schon am zweiten Schultag fliegt er. Die Ausländerbehörde hatte die Schulleitung „gewarnt“, mit wem sie es zu tun hatte. „Die wollen, dass du in der Scheiße liegst, aber nicht stinkst“, meint Yehya in einem Interview mit Stahl. Seit April 2014 sitzt der 23-Jährige wegen Raubes wieder im Knast, für sechs Jahre.

Ab in die Talk-Arena

Stahl betont während der Lesung, dass er den jungen Mann nicht aus seiner Eigenverantwortung entlässt. Auf Nachfrage gibt er aber zu „hier nach zehn Jahren keine Distanz mehr zu haben“. Es ist ihm ein Anliegen, deutlich zu machen, wie die Gesellschaft junge Menschen, die gerne Deutsche sein wollen, ins Abseits drängt. Bleibt zu hoffen, dass Stahls Buch bald doch bei Dussmann neben dem von Buschkowsky liegt. Das wäre dann der Freifahrtschein in die großen Debattenarenen von Maischberger & Co., wo die Geschichte von Yehya hingehört.

 
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