Mit Transparenz und Sensibilität

Die nationalsozialistische Vergangenheit eines Neuköllner Friedhofbaus war lange unbekannt. Bei 48 Stunden Neukölln wird sie nun offen thematisiert. Unter anderem von der Historikerin und Regisseurin Katja Lehmann. Ein Gespräch über ihre Video-Installation und den richtigen Umgang mit der Geschichte des Ortes.

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Freitag, 14. Juni 2013

Katja, die Historie der „Ehrenhalle“ war lange Zeit unbekannt. Wie bist du persönlich auf das Thema aufmerksam geworden?

Katja Lehmann: Im Grunde haben mich die Festivalleiter, Martin Steffens und Thorsten Schlenger, darauf aufmerksam gemacht. Für mich war das Areal auch ein blinder Fleck, bevor ich mich damit beschäftigt habe. Die beiden sind dann aber an mich herangetreten und haben gefragt, ob ich in meiner Doppelfunktion als Historikerin und Regisseurin Interesse hätte, da etwas zu machen. Und so ist das im Grunde zustande gekommen.

Was haben Deine Recherchen zur historischen Nutzung ergeben?

Zur historischen Nutzung kann ich vor allem sagen, was man auch allgemein an Informationen findet. Also dass diese „Ehrenanlage“ in den Jahren 1936 bis 39 errichtet worden ist. Damals schon unter der Ägide des Generalbauinspektors Albert Speer. Und dass diese Anlage eben ursprünglich die Funktion hatte, den Gefallenen des Ersten Weltkriegs zu gedenken. Ab 1939 bis 1945 dann zunehmend aber eben auch genutzt wurde, um dort Gefallene des Zweiten Weltkriegs zu begraben und zu ehren. Aber nicht nur Soldaten, auch viele Zivilisten, Bombenopfer liegen dort  begraben. Und nach Kriegsende wurde das Gelände dann weiter genutzt für Tote, die nicht im Kriegskontext gestorben waren. Das ist so der grobe Rahmen.

Und wie verarbeitest du deine Rechercheergebnisse in deiner Installation?

Ich habe einige Interviews geführt, unter anderem mit Richard Bühning, dem Enkel des Architekten Wilhelm Büning und mit Frau Królikowska, die ihrerseits mit dem Verein Nike e.V. jetzt die Nutzung des Geländes übernommen hat. So ist ein Film entstanden, in dessen Rahmen ich die Fragen thematisiere, die sich mir selber gestellt haben. Nicht auf alle gibt es dabei Antworten. Im Grunde ist es ein Material, das mehr Fragen generiert als beantwortet. Das liegt einfach an der unübersichtlichen Quellensituation und an der schwierigen Dokumentenlage.

Was sind das für Fragen?

Für mich ist im Laufe der Arbeit eine Frage immer relevanter geworden, die ich so gar nicht auf dem Schirm hatte. Das ist die Frage nach angemessenem, nach sinnvollem gegenwärtigem Erinnern und Gedenken. Was für Erinnerungskulturen, Erinnerungsformen und Gedenkpraktiken finden dort statt? Also gerade dieses Nebeneinander von zivilem Gedenken und staatlich-politischem Gedenken. Das ist für mich eine Frage, der ich nachgehe. Weil Sterben und Tod etwas ist, womit wir alle irgendwie befasst sein werden.

Eine zweite wichtige Frage ist für mich die nach der Zukunft des Ortes. Und auch da wieder die Frage, wie bewusst wird die Vergangenheit gehalten. Also wie verhält man sich zu diesem Erbe, das ja nun mal besteht. Und wie verkrampft oder auch wie unverkrampft geht man damit um. Ich glaube, das ist etwas, das für jeden subjektiv komplett unterschiedlich ist. Da kann man im Grunde kein Dogma erheben, so ist richtiges oder so ist falsches Umgehen mit dem Ort.

Hast du trotzdem persönlich eine Meinung dazu, wie man mit dem Ort umgehen sollte?

Meiner Meinung nach ist es extrem wichtig transparent zu machen, welche Vergangenheit dort passiert ist, welche Geschichten dort auch passiert sind und es nicht irgendwie in einer lebensfrohen zukunftszugewandten Holdrioh-Art und Weise einfach zu übergehen. Für mich persönlich ist das ganz entscheidend.

Wie könnte das konkreter aussehen?

Was jetzt da konkreter stattfindet, ist dass Frau Królikowska vom Nike e.V. als Trägerin dieses Ortes den Lilien-Kulturgarten dort konzipiert, dass sie dort Jugendarbeit macht und diesen Ort als kulturellen Raum, als Raum in dem Kunst und Kultur stattfinden können, zur Verfügung stellen möchte. Und wenn man das intelligent und mit der richtigen Sensibilität macht, dann halte ich das für ein angemessenes Konzept.

Was ich dort aber zurzeit auch täglich erlebe, ist, dass da gerade zwei Welten aufeinander treffen, die sich erst finden müssen. Auf der einen Seite sind da Menschen, die kommen, um die Gräber zu besuchen, und auf anderen Seite sind da diese neuen Visionen und die jugendliche Klientel, die jetzt diesen Ort für sich neu erobert.

Hast du mitbekommen, wie die Angehörigen der dort Begrabenen auf diese neue Nutzungsform reagieren?

Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Ein extrem breites Spektrum von großer Irritation bis hin zu Freude. Aber es ist sicher etwas, das für Konflikte sorgt, weshalb es in den nächsten Jahren auch noch eine Aufgabe sein wird, dort eine Homogenität herzustellen und ein gutes Miteinander zu finden.

Friedhofskapelle, Lilienthalstr. 7, Fr 19 – 23, Sa 11 – 23, So 11 – 19